Neue Impulse für die deutsch-tschechische Zusammenarbeit

Kategorie: Oberpfalz – Tachovsko

Von wegen Herbstblues! Herbstzeit ist Draußenzeit! 

BLOG 2

Jedenfalls trifft das für die deutschen und tschechischen Freunde am vergangenen Wochenende in der Mikroregion Konstantinolázeňsko zu.

Am frühen Vormittag fand sich bereits eine motivierte Truppe unter Bürgermeister Vladimír Krejča in Černošín ein, um eine Allee von Bäumen anzupflanzen. Unter fachkundiger Anleitung zweier Experten wurden Löcher gegraben und Bäume gesetzt. Natürlich blieb auch Zeit für eine Erfrischung und für Gespräche über deutsch-tschechische Themen.

Anschließend ging es weiter zum berühmten Apfelfest auf der Anhöhe Krasíkov. Dieses Fest mit verschiedenen kulinarischen und künstlerischen Beiträgen fand schon zum 22. Mal statt. 

Fanden vor Corona teilweise bis zu 5000 Besucher zum Fest, hat man nun allmählich versucht, der Veranstaltung wieder einen gemeinschaftlicheren Charakter zu verleihen. 

Durch die tolle Organisation ist das auch absolut gelungen und so konnten die immer noch zahlreichen Besucher das Fest mit Mošt und vielen Leckereien vollauf genießen. 

Nicht fehlen durfte natürlich eine Delegation aus der Partnerregion Steinwald-Allianz. Knapp 50 Besucher sind mit dem Bus aus Bayern gekommen und verbrachten einen wunderschönen Nachmittag bei Ihren Freunden. 

Bayerisches Bier, Würste und Brezen am Stand der Steinwald-Allianz bildeten so die Brücke und sorgten für reges Interesse an den Gästen. 

Für das nächste Treffen müssen die beiden Partnerregionen Konstantinolázeňsko und Steinwald-Allianz aber sicher nicht bis nächstes Jahr warten. Bereits für die nächste Woche ist ein Treffen mit Vertretern und Bürgermeistern geplant. 

Und wer weiß, vielleicht kann so ja aus dem Herbstblues und dem Herbst der Pilzesucher ein goldener Herbst werden – zumindest für die deutsch-tschechische Zusammenarbeit. 😉 

Florian Löw

Die Kirchennacht in Tachov und Umgebung

BLOG č. 24

Lebendig, bunt, konzentriert sowie kammer… so sahen die fünf tschechisch-deutschen Abende im Rahmen der Nacht der Kirchen 2024 in der Region Tachov aus.

Fünf Veranstaltungsorte mit eigener Geschichte, zehn Musikensembles, Workshops für Kinder und viele Zuhörer.

Auf den schönen Fotos von Petr Janik (MAS Český Západ) aus Böhmisch Domaschlag und Budigsdorf können Sie die Atmosphäre noch einfangen und die barocken Innenräume der Kirchen in Pístov und Brod bewundern.

Kamila jůzlová

Die Kirchennacht in Tachov und Umgebung ist dieses Jahr deutsch-tschechisch

BLOG č. 23

Die Nacht der Kirchen hat unter anderem zum Ziel, der Öffentlichkeit ein Kulturerlebnis in Sakralräumen zu vermitteln. Dabei handelt es sich nicht nur um Kirchen, die regelmäßig zu Gottesdiensten besucht werden, sondern auch um Kirchen in der Grenzregion, die oft das ganze Jahr über leer stehen und in denen sich aufgrund der Ereignisse nach dem II. Weltkrieg auf tschechischer Seite nur wenige Gläubige versammeln. Diese Kirchen hatten kein leichtes Schicksal: Nach der Abschiebung der Sudetendeutschen blieben sie verlassen zurück, während des Kommunismus verfielen sie und wurden dann in den 1990er Jahren häufig geplündert. Jetzt scheint sich jedoch ein Lichtstreif am Horizont zu zeigen. Viele der bereits renovierten Bauwerke befinden sich in der Obhut von Gemeinden, Kirche oder Vereinen, die sich für ihre Rettung und Wiederbelebung stark machen.

Im Rahmen des vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds initiierten Projekts EIN JAHR AN DER GRENZE findet die Kirchennacht diesmal in fünf Kirchen der westböhmischen Grenzregion unter deutsch-tschechischer Regie statt. Und weil Musik auch ohne Worte verbindet, ist das Programm in Sachen Sprache „gänzlich barrierefrei“. Auf dem (imaginären) Podium werden sich jeweils ein deutscher und ein tschechischer Interpret begegnen.

In der Wallfahrtskirche St. Bartholomäus in Pístov wird der Tachover Domchor gemeinsam mit einem achtstimmigen Doppelquartett aus Bayern auftreten. Dirigent des Quartetts ist Florian Löw aus Plößberg. Herr Löw kann gut Tschechisch, denn „München ist weit – warum also nicht den sprachlichen Horizont gleich hinter der nahen Grenze erweitern“. Er fährt regelmäßig zu Proben ins westböhmische Tachov und jetzt kann man die beiden Ensembles gemeinsam erleben.

Das Doppelquartett tritt auch in der Kirche St. Maria Magdalena auf dem Schwamberg in Krasíkov auf – diesmal zusammen mit dem Regionalchor Souhlas aus Konstantinovy Lázně. Am späten Abend werden dann auf dem Platz vor der Kirche 60er-Jahre-Hits mit der Band Wenda Gang erklingen. Und bei guter Sicht können die Besucher mit zwei astronomischen Fernrohren den Nachthimmel beobachten.

In der St.-Anna-Kapelle in Olešná, einem Bau mit einer außergewöhnlichen Atmosphäre aus Schönheit, Verfall und Erneuerung, der schrittweise vom Verein Zachraň Annu rekonstruiert wird, stehen Klaviermusik einer jungen Interpretin und Jazz mit der deutschen Band Taktikum auf dem Programm.

Die Domaslaver Kirche St. Jakob der Ältere lädt zu unkonventioneller Minimal Music aus Tirschenreuth und zu Barockkompositionen von Musica Festiva ein. Das Ganze wird durch Kunstworkshops für Groß und Klein und durch eine Ausstellung von Schülerinnen und Schülern der Kunstschule Planá bereichert.

Und in der St. Jakobskirche in Brod nad Tichou sind das Ensemble Cantilo aus Mariánské Lázně und die Jazzcombo der Kreismusikschule Tirschenreuth zu Gast. Letztere wird auf dem Platz vor der Pfarrei zu Kaffee und Tee aufspielen.

Die Programme der einzelnen Orte knüpfen zum Teil aneinander an, zum Teil finden sie unabhängig voneinander statt. Einen Zeitplan finden Sie unter www.nockostelu.cz. Die Juninacht ist für eine solche Verbindung mit der Musik wie geschaffen – lassen Sie sich das also nicht entgehen!

Kamila jůzlová

Grenzen bewegen (sich)

BLOG Nr. 20

So lautet der bezeichnende Titel eines Langzeitprojekts des Kunstfotografen Herbert Pöhnl. Für diesen aus Furth im Wald stammenden Mann ist die Grenze ein Lebensthema. Schon viele Jahre lang bricht er immer wieder auf, um mit seinem Objektiv das Leben der Menschen in der bayerisch-böhmischen Grenzregion einzufangen. Wie er selbst sagt, „möchte er mit seinem Projekt die Nachbarschaft stärken, das Verständnis der Bayern für die Tschechische Republik und das der Tschechen für Bayern fördern“. Er fotografiert nicht nur Bürgermeister und bedeutende, aktive Persönlichkeiten aus der Region, sondern auch ganz „gewöhnliche“ Leute: Landwirte, Arbeiter, Mitarbeiter von Unternehmen oder Angehörige nationaler Minderheiten. Er beobachtet und dokumentiert die Vielfalt des Lebens im Grenzgebiet. Und er tut dies mit der ihm eigenen Begeisterung, mit dem ihm eigenen Humor und Optimismus. Bis dato kann er schon mehrere Publikationen und eine Vielzahl von Ausstellungen in beiden Ländern verbuchen. 

https://www.haus-der-heimaten.eu/

Ich bin Herbert schon vor vielen Jahren durch puren Zufall begegnet (in unserer Grenzregion ist die Welt klein), zum zweiten Mal dann im Rahmen meiner Tätigkeit für „Ein Jahr an der Grenze“. Und seither relativ oft. Herbert, der seine neuesten Arbeiten präsentieren wollte, hatte mich gebeten, ihm bei der Suche nach einem Partner auf tschechischer Seite wie auch bei der Organisation der Ausstellung behilflich zu sein. Nach einem erfolglosen Kooperationsversuch mit der Stadt Kdyně kam ich auf die Idee, ihn mit Kristýna Pinkrová vom Domažlicer Centrum Hindle bekanntzumachen.

https://www.chodskozije.cz/projekty/hindle-mezi-nami-mezi-kdysi-a-dnes/

https://www.facebook.com/projekthindle

Und die Zusammenarbeit war aus der Taufe gehoben!

Das Centrum Hindle ist ein Projekt des Vereins Chodsko žije! (Das Chodenland lebt!), der seit seiner Gründung im Jahr 2014 Kultur- und Bildungsaktivitäten mit Schwerpunkt auf der Region Domažlice organisiert. „Hindle“ bedeutet im chodischen Dialekt der Ort zwischen hier und dort. Hindle – das ist die Region zwischen Pilsen und Regensburg, wo es nicht darauf ankommt, in welcher Sprache man spricht, sondern dass man einander versteht. Seele des Projekts ist die wissbegierige Historikerin und Buchautorin Mgr. Kristýna Pinkrová, die unermüdlich versucht, der Schönheit und den Rätseln dieses Landstrichs auf die Spur zu kommen (und dies keineswegs nur für sich selbst). Das Projekt wird vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gefördert und umfasst neben regelmäßigen Vorträgen und Gesprächen mit interessanten Gästen auch Ausstellungen, Führungen, Exkursionen oder Workshops zu regionalen Handwerken.

Bei einem ersten Kennenlern-Treffen im September 2023 wurde ein Termin für eine Ausstellung im Frühjahr dieses Jahres vereinbart. Zum zweiten Treffen im Dezember brachte Herbert seinen Freund Alfred Bruckner vom Verein Freiraum Furth – Verein für Kunst und Kultur e.V. Furth im Wald mit und man kam überein, dass die Ausstellung – als erste Veranstaltung einer geplanten langfristigen Zusammenarbeit zwischen dem Centrum Hindle und dem Verein Freiraum – unter der Schirmherrschaft dieses Kulturvereins stattfinden soll.

In einer sehr freundschaftlichen und fröhlichen Atmosphäre haben wir dann die Ausstellung gemeinsam aufgebaut. Ein Highlight war die gelungene Vernissage, die am Freitag, dem 16. Februar 2024, in den Räumen des Centrum Hindle am Domažlicer Marktplatz stattfand. Nach der feierlichen Eröffnung und den einführenden Worten Kristýna Pinkrovás und Herbert Pöhnls, die zu dolmetschen ich die Ehre hatte, wurde ein Kurzfilm über Herberts Arbeit gezeigt, der unter folgendem Link verfügbar ist: https://www.youtube.com/watch?v=Ci54ghqgers .

Auf der Vernissage bin ich etlichen bekannten Gesichtern begegnet. Mit vielen davon arbeite ich im Rahmen von „Ein Jahr an der Grenze“ zusammen. Ich hatte jedoch auch Gelegenheit, neue interessante und liebe Leute aus der deutsch-tschechischen Welt kennenzulernen, so z. B. die Dolmetscherin Marta Klimmer aus Viechtach, die zusammen mit der Domažlicerin Veronika Němcová das erste bayerisch-deutsch-tschechische Wörterbuch verfasst hat.

https://domazlicky.denik.cz/zpravy_region/sampanskym-a-pivem-pokrtili-v-domazlicich-unikatni-slovnik-pro-bavory-a-cechy-20.html

Und wieder ist das Kontaktnetz ein Stückchen gewachsen…

Ludmila Mathauserová

Ahoj und Hallo in der Turnhalle

BLOG Nr. 19

Am Rande der kleinen Gemeinde Wiesau leuchten im spätnachmittäglichen Dämmerlicht die Fenster einer großen Turnhalle. Hier treffen sich heute um die fünfzig Kinder zum Training. Die kleinen Athleten vom SKP Union Cheb im rosa, die vom hiesigen TB Jahn Wiesau im roten Sportdress.

Es handelt sich um das zweite Treffen der beiden Athletik-Sektionen, und heute wird um Medaillen gekämpft (-:

Auf dem Programm stehen 30-Meter-Sprint, zwei verschiedene Hochsprungarten und Ball-Weitwurf. Die Kinder werden sich in gemischten, nach Jahrgängen geordneten Teams zu den einzelnen Austragungsplätzen begeben. Die Jüngsten sind Erstklässler, die Ältesten Jahrgang 2013.

Vorher habe ich für sie aber noch eine Sprachanimation in petto. Das ist offenbar nicht nur für mich, sondern auch für sie eine Premiere. Fünfzig kleine Hüpfer in einem Kreis zu halten, scheint zunächst schwierig. Bald sind jedoch schon einzelne Grüße in beiden Sprachen zu hören. Die Kinder stellen sich mit dem einfachen Satz „Ahoj, já jsem….“ / „Hallo, ich bin….“ ihrem Nachbarn vor, wir werfen uns gegenseitig einen Ball zu und zum Schluss probieren wir mit den Grüßen noch eine La-Ola-Welle.

Für mehr reicht die Zeit nicht. Die Kinder eilen zu den verschiedenen Austragungsplätzen und man sieht, dass sie das Beste aus sich herausholen wollen.

Auf dem Siegerpodest stehen dann oft deutsche und tschechische Sportlerinnen und Sportler nebeneinander. Die Siegerehrung ist vom Applaus zahlreicher Eltern begleitet. Die Trainerinnen sehen zufrieden aus und die Kinder haben die heutige Version einer „Winterolympiade“ bestimmt auch genossen. Beim nächsten Mal dann vielleicht wieder in Cheb…

Kamila jůzlová

Wie die Weihnachtskrippe vom Neumarkt über die Grenze kam…

BLOG č. 14

Würden Sie die Krippenfiguren mitnehmen, wenn Sie eine Reise machen würden, von der Sie vielleicht nicht zurückkehren? Die Mutter von Herrn Haidel hat das 1946 während der Vertreibung getan. Sie packte den vierjährigen Horst, seinen älteren Bruder und das Nötigste ein und legte achtzig Figuren aus der selbstgebauten Krippe in eine Kiste unter die Kleidung des Babys im Kinderwagen.

Gott weiß, warum sie diese Entscheidung getroffen hat. Vielleicht erinnerten die Figuren sie an ihren Mann, der noch irgendwo im Ausland weilte und im Jahr 1924, also vor genau einhundert Jahren, die erste gekauft hatte, vielleicht wollte sie die Erinnerung an ein gemeinsames Weihnachtsfest bewahren, das nie wieder „zu Hause“ stattfinden sollte.

Von Úterý/Neumarkt wurde die Familie Haidl in das Sammellager in Chodová Plané transportiert, dann nach Westen nach Wiesau und Tirschenreuth, wo Herr Horst Haidl den Rest seines Lebens verbrachte.

Ich treffe ihn im Museum in Tirschenreuth, wo gerade die jährliche Krippenausstellung läuft. Wir stehen direkt vor denen, die er selbst gebaut hat. Er hat 2005 mit dem Bau der großen Krippe begonnen und ab 2008 nach und nach Szenen hinzugefügt und weitere Figuren gekauft. Die Figuren in Herrn Haidls Krippe heißen „Grulicher Figuren“ und die Krippe selbst „Grulicher Krippe“. „Grulich“ war der deutsche Name für die Stadt Králíky am Fuße des Adlergebirges. Hier begann sich Ende des 18. Jahrhunderts die Krippentradition rasch zu entwickeln, ironischerweise dank des josephinischen Verbots von Krippen in Kirchen. Weil die Menschen nicht an der Krippe in der örtlichen Kirche Andacht halten konnten, holten sie dieses Symbol der christlichen Weihnacht in ihre Häuser hinein. Die Nachfrage nach den Figuren wuchs im 19. Jahrhundert so stark, dass die Herstellung von Krippen zu einem der gebräuchlichsten Handwerksberufe in Králice wurde. Die Figuren überschwemmten nicht nur die lokalen Märkte, sondern wurden auch als so genannte „Grulicher Mannln“ oder auch unter der Bezeichnung „echt Wiener Krippen“ in  ganz Europa verbreitet. Die Tradition endete zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, aber die Figuren sind noch heute auf verschiedenen Internetauktionen und in Antiquitätengeschäften zu finden.

So bekam sie auch Herr Haidl, der heute wohl die größte Sammlung dieser Figuren im Landkreis Tirschenreuth besitzt. Vor dem Hintergrund all der Häuser, Schafe, Musikanten, der Heiligen Drei Könige und der Bergmannskapelle vor seinem Wohnhaus sticht das Bild der Kirche St. Johannes der Täufer am Dienstag hervor. Die Silhouette wurde von seinem Freund Erich Werner aus Chodau/Chodova gemalt.

Und so haben wir ein weiteres Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte geöffnet. Ob wir es nun wollen oder nicht, sie begleitet uns… oder zumindest diejenigen, die ihr zuhören wollen. Wir überschreiten die Grenzen auf beiden Seiten, um sie kennen zu lernen. Die ältere Generation noch mit einem Hauch von Bitterkeit, die jüngere Generation oft mit einem Sinn für und Lust auf Abenteuer.

Kamila Jůzlová

Chemnitz oder hin und zurück

BLOG Nr. 11

Ende November und Anfang Dezember findet in Chemnitz unter der Schirmherrschaft des Bundesaußenministeriums das erste deutsch-tschechische Regionalforum statt. Eingeladen sind nicht nur Vertreter verschiedener Institutionen, sondern auch die breite Zivilgesellschaft. Es geht also los.

Für Ein Jahr an der Grenze und für mich selbst. Ziel ist es, Akteure von beiden Seiten der Grenze zusammenzubringen, mit besonderem Augenmerk auf die Probleme und Gelegenheiten der Grenzregionen. Sie sind, wie es in der Pressemitteilung heißt, „die Treffpunkte Europas und eine der Säulen des Zusammenhalts in der Europäischen Union.

Wenn es hier hakt, gerät der Motor der europäischen Integration ins Schleudern.“ Aber bisher läuft alles reibungslos, ich sitze im Morgenzug nach Cheb (Eger), von dort plane ich, in Hof umzusteigen und in viereinhalb Stunden in Chemnitz-Siegmar auszusteigen. Ich trinke Tee und schaue aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Schneelandschaft.
Im Zug nach Hof lese ich Winterbergs letzte Reise von Jaroslav Rudiš, und bald beginnen Realität und Fiktion zu verschmelzen. Winterberg fährt nach Sadová (Sadowa), ich an die Grenze, rohe Felder, Wälder, winterliche Frühnebel. „Die Reisenden nach Aš (Asch) steigen in Hazlov (Haslau) um“, wird plötzlich mit heiserer Stimme gesagt. Wie nach Aš? Ich fahre nach Hof! Ich kehre schnell in die Realität zurück. Der Schaffner erklärt
brüsk, dass die Deutschen keine „Maschinen“ haben und dass sie nicht wissen, wann sie sie haben werden, vielleicht am Nachmittag, vielleicht morgen… „In zwei Stunden fahren wir zurück nach Cheb, gnädige Frau, mehr werde ich Ihnen jetzt nicht sagen“, fügt der Schaffner hinzu. Nun gut. Ich steige an der Haltestelle Aš – Stadt aus. Kein Mensch weit und breit, überall ist es kalt. Die Deutschen geben sich hier keine Mühe mit dem Busersatzverkehr.

Es stellt sich heraus, dass ich der Einzige im Zug nach Deutschland bin. Ich sehe mich erfolglos nach einem Bahnhof um, in dem es wenigstens einen Kaffeeautomaten gibt, aber Aš scheint heute das Ende der Welt zu sein. Das Bahnhofsgebäude im Brüsseler Stil, entworfen vom Architekten Dandy, wie ich später erfahre, wurde Anfang des Jahres abgerissen, weil es für die Strecke überdimensioniert und längst baufällig war. Doch vorher war er lebendig! Der ursprüngliche, großzügige Bahnhof wurde1865 von den Bayerischen Ostbahnen eröffnet, zusammen mit der Strecke von Selb nach Cheb, wo später die Linie hinführte, die den nordwestlichen Außenposten Österreich-Ungarns mit Wien, Pilsen und České Budějovice (Böhmisch Budweis) verband. Vielleicht ein Bus? Wir sind nur noch einen Kilometer von der Grenze entfernt! Nein, erklärt mir der ČSAD-Busfahrer, der gerade zu Mittag isst, dass sein Unternehmen diese Strecke gar nicht bedient.

Mir ist kalt, also suche ich nach einem Café oder einem Ort zum Aufwärmen. Was würde Winterberg tun? Er würde sicher nicht zurückkommen! Ich versuche, mir einen Plan B auszudenken.

So fahre ich mit demselben Schaffner, der immer noch nichts weiß, von Cheb nach Marktredwitz, nach Zwickau und reibungslos nach Chemnitz zurück und denke an den Freiheitszug von 1951, der sich gar nicht um Aš kümmerte und mit der ahnungslosen Mehrheit der Fahrgäste einfach durch den Bahnhof von Aš nach Westdeutschland fuhr.

Die Konferenz ist noch in vollem Gange. Auf dem Podium wechseln sich einflussreiche Persönlichkeiten ab, allgemeine Phrasen über die besten deutsch-tschechischen Beziehungen der letzten Zeit werden gelegentlich von einer konkreten Bemerkung über die Realität der Grenzbeziehungen unterbrochen. Ich taue auf. Es folgen Workshops. Die Themen drehen sich um Pendler, den Arbeitsmarkt und Bahnverbindungen. Natürlich beziehe ich meine morgendliche Geschichte mit ein. Ich interessiere mich außerdem für die Verbindung des IRS (integriertes Rettungssystem) entlang der Grenze zu Bayern, wo das Projekt Babylon seit über einem Jahr in der Region Karlovy Vary (Karlsbad) und in Oberpfalz in Betrieb ist, wo der Krankenwagen, der am nächsten an der Grenze ist, zum Verletzten fährt, unabhängig von der Grenze. Das System kann die erhaltenen Informationen über die Situation in beide Sprachen übersetzen. Das ist großartig. Ich hoffe, dass sich das System auch auf den Rest der Grenzregion ausbreitet.

Am Freitagmittag verabschiede ich mich von Chemnitz. Sorglos steige ich in den Zug, ein weiteres Kapitel von Winterberg. Aber wir warten schon lange in Hof. Mein ungutes Gefühl bestätigt sich. In diesen Tagen über die
Grenze zu kommen, ist fast eine übermenschliche Aufgabe. Der Deutsche behauptet, dass der Tscheche, mit dem er sich diese Strecke teilt, nicht angekommen ist und vertreibt uns aus dem Zug. Weitere Informationen sind nicht zu erhalten. Keiner hat sie. Das Problem liegt jetzt auf der
tschechischen Seite. Revanche? Die DB-Auskunft gibt vor, zum ersten Mal von dem Ausfall zu hören, obwohl ich von einem Mitreisenden erfahre, dass es keinen Mittagszug gab, und empfiehlt den – mir schon bekannten – Umweg über Marktredwitz. Mir ist kalt. Wir warten zwei Stunden lang. Ich
spreche mit Peter, der über die Grenze fährt, um zu arbeiten – seit einem Jahr, von Montag bis Freitag. Er spricht kein Deutsch, aber er sagt, dass er gut verdient. Aber seine deutschen Kollegen bekommen 6 Euro mehr pro Stunde für die gleiche Arbeit. Wenn man sich darüber beschwert, geht
man. Peter beklagt sich nicht, er hat seine Schulden abbezahlt, er und seine Frau sind letztes Jahr zum ersten Mal ans Meer gefahren. Wie lange diese Beziehung halten wird, weiß er nicht.

Die Realität.
Ich steige abends in Planá (Plan) aus und kratze an der gefrorenen Windschutzscheibe des Autos, das mich endlich ins Warme bringt.

Kamila Jůzlová

Maler ohne Grenzen

BLOG Nr. 10

Am Montag, den 23. Oktober 2023, versammelten sich acht Frauen im MuseumsQuartier in Tirschenreuth und dass wegen einem einzigen Mann. Einem Mann, der zwar bereits vor 250 Jahren in Tirschenreuth geboren wurde, dessen Vermächtnis aber immer noch lebendig ist, und das nicht nur auf der deutschen Seite der Grenze.

Maurus Fuchs (1771-1848) ist der Autor zahlreicher Kirchengemälde und Fresken in der Region Tachov und in der Oberpfalz. Er war ein Maler, der sich in seiner Zeit ganz selbstverständlich zwischen den beiden Regionen bewegte und sogar seine größten Werke in Böhmen schuf (Kloster Teplá und Tachov).

Fuchs ist dadurch das Bindeglied zwischen unserer künftigen tschechisch-deutschen Kooperation der Hroznat-Akademie des Klosters Teplá und dem Museum in Tirschenreuth. Bei den Treffen wird nun ein Programm entwickelt, um Schulen oder Senioren ein Programm über diesen bedeutenden heimischen Maler und seine Zeit anzubieten, sein umfangreiches Werk in Teplá spielerisch vorzustellen und seine Papierkrippe kreativ zu präsentieren.

Die Krippe ist heute im MuseumsQuartier zu sehen. Sie ist nach 1830 entstanden, wurde aber erst in den 1970er Jahren in einem Schuhkarton auf dem Dachboden eines Stadthauses wiederentdeckt. Obwohl es nicht signiert ist, ist klar, dass es sich um ein Werk von Fuchs handelt, allein schon deshalb, weil mehrere der Krippenfiguren in identischer Form im Kloster in Teplá abgebildet sind.

Und das ist nur einer der spannenden Momente in dieser Geschichte. Ich hoffe, dass unsere gemischte Gruppe es schaffen wird, die Geschichte rekonstruieren und im nächsten Jahr der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Kamila Jůzlová

„Die Reise kostet n Tausender, die Rückfahrt zwei, dort war es prima, wir treffen uns in Berlin“

BLOG č. 4

„Za cestu dáš kilo, když se vrátíš dvě, dobře ti tam bylo, sejdeme se v Berlíně“ – „Die Reise kostet n Tausender, die Rückfahrt zwei, dort war es prima, wir treffen uns in Berlin“ … Zur Einführung diesmal mein Lieblingslied von der tschechischen Punkgruppe Garáž, denn in diesem Beitrag soll es darum gehen, wer denn da alles am Freitag den 8.9. und Samstag den 9.9. in Berlin in den Gärten des Präsidentenpalastes zusammengekommen ist.

Und wir waren wirklich viele! Ich brauche wohl zu nicht daran erinnern, dass der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds sein 25. Gründungsjubiläum feiert und dafür eine Einladung zum Bürgerfest des Bundespräsidenten erhalten hatte. Und nicht nur das, er konnte sogar in großem Maße das Programm bestimmen, so dass ein nicht unwesentlicher Teil der Workshops und Stände von Organisationen stammte, die aktiv an der Gestaltung der deutsch-tschechischen Beziehungen mitarbeiten und auf den Haupt- und Nebenbühnen die Crème der tschechischen Kulturszene anzutreffen war. Das gesamte Programm der Feierlichkeiten der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit, mitsamt der Entsendung des Kultur-Zuges, im Detail auf den Web- und Facebook-Seiten des Fonds zu finden.

„Gemeinsam wind wir stärker“ lautete das Hauptmotto der Feierlichkeiten und das war auch der Kernpunkt um den sich viele Überlegungen und Diskussionen drehten, nicht nur im Kontext des Kriegs in der Ukraine. Zur Stärkung der Beziehungen von unten, also auf der „Ebene des normalen zivilen Lebens“, soll auch unser Progaramm Ein Jahr an der Grenze beitragen. Der Kontext zeigte, von welch riesengroßer Bedeutung es eigentlich ist und wie wichtig es ist, im grenznahen Gebiet gute Beziehungen zu pflegen. Ludmila und ich kommen aus Berlin entschieden bestärkt zurück. Es war inspirierend so viele aktive und offene Menschen zu sehen und Teil eines Netztes zu werden, das den gemeinsamen Raum belebt. Hoffentlich hält die Motivation noch lange vor (-:

Kamila Jůzlová

Neue Wege. Level II.

BLOG č. 3

Ein regnerischer Maimorgen. Wir sind auf dem Weg vom deutschen und tschechischen Grenzgebiet mitten hinein ins Zentrum des Geschehens. Prag empfängt uns mit hundert Türmen und hundert Sprachen. Ich habe lange nach der deutschen Sprache Ausschau gehalten. Man fühlt sich irgendwie europäischer, multikultureller, die Tore der Möglichkeiten stehen weit offen, sobald man aus dem Zug steigt. Aber vielleicht ist das auch nur eine Illusion – wir atmen wieder freier. Hier – im Gebiet zwischen zwei Welten, in denen verschiedene Sprachen gesprochen werden und wo wir dennoch so viel miteinander gemeinsam haben!

Wir sind zu sechst und wollen das Verbindende finden und zu entwickeln. Das zweite Jahr des Grenzjahres beginnt.

Das Schlüsselwort, das bei unserem ersten Treffen immer wieder fällt, heißt „neue Wege“.

Wir fragen uns, was sich alles hinter diesem Motto verbergen mag. Auf dem Gebiet der tschechisch-deutschen Zusammenarbeit ist seit der Wende viel getan worden, es ist schwer, etwas Neues zu finden, etwas, an das andere noch nicht gedacht haben…

Oder etwa doch nicht? Was ist mit der Fahrt des neuen Präsidenten Peter Pavel zum Grenzfest „Wochen der Freundschaft“ in Selb auf einem Motorrad? Was ist mit den Poesiomaten, die im Sudetenland Gedichte an vergessenen Orten vortragen, die nun wieder zum Leben erwachen? Das klingt alles großartig und schön, ist aber eigentlich genauso wichtig wie ein Treffen von Brettspielvereinen oder kleinen Imkern…

Schauen wir also, wohin uns die Wege führen.

Gebahnte Wege, Pfade oder auch Wege in den Himmel … sie alle werden von uns beschritten. Kommen Sie mit!

KAMILA Jůzlová

Butterbrotfest

BLOG č. 2

Hinter dem Berg, der den Namen der heute so gefürchteten Bestie trägt, liegt „Hinter-Berg“ – auf tschechisch heißt der Ort Záhoří. Ein kleines Dorf in Westböhmen, das wie viele andere in der Nachkriegszeit dem Untergang geweiht war. Es erlebte eine Umsiedlungswelle, dann die zweite, die dritte… Záhoří (der alte deutsche Name ist Sahorsch) wurde verlassen und selbst die Kapelle, die über die stillen, schönen Weiden zum Bach Kosí hinunterschaut, war baufällig.

Glücklicherweise wurde vor zwanzig Jahren die Dreifaltigkeitskapelle repariert, unter anderem dank der Unterstützung durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, und dies war auch der Anstoß für die Wiederbelebung des Festes, das untrennbar mit dem Dorf Záhoří verbunden ist – das Butterbrotfest.

Dieses Fest war eine Einladung an die Nachbarn aus dem Städtchen Černošín, die „unter dem Berg“ lebten, sich am ersten Samstag im Juni zur Messe und einem anschließenden Nachbarschaftstreffen in die Kapelle in Záhoří zu begeben. Es gab Getreidekaffee und natürlich auch frisches Brot mit Butter. Das Brot wurde im Brotbackofen des einzigen Hauses gebacken, das heute noch steht.

Der ruhige und nachbarschaftliche Charakter des Festes hält bis heute an. Die „Pilger“ kommen nach Záhoří aus vier Richtungen: aus den Orten Ošelín, Svojšín, Olbramov und Černošín. Auf ihrem Weg kommen sie an der Burg Volfštejn und an den Ruinen der Gaststätte auf der Vlčí hora (dem Wolfsberg) vorbei, wo früher Limonade und Bier aus der örtlichen Brauerei auf dem Burgberg Třebel serviert wurden. Einige bringen auch selbstgebackenes Brot mit.

Auf die zweisprachige deutsch-tschechische Messe folgt in der Regel eine deutsch-tschechische Lesung. Fast immer nehmen Deutsche, darunter entweder ehemalige Bewohner von Záhoří oder deren Nachkommen und Freunde, an den Feierlichkeiten teil. Für sie war es immer ein wichtiger Festtag, wenn sie die „Heimat“ besuchten konnten. Leider ist in diesem Jahr zum ersten Mal seit siebzehn Jahren niemand von der deutschen Seite gekommen. Das entspricht auch dem Trend bei allen Begegnungen mit den Einheimischen in den Grenzdörfern und -städten. Die Kontakte gehen verloren und mit ihnen ein Teil der Geschichte des Ortes. Aber dies ist wohl auch der natürliche Lauf der Dinge. Unsere Aufgabe ist es, diesen Teil unserer gemeinsamen Vergangenheit zu kartieren und an die nächste Generation weiterzugeben.

KAMILA Jůzlová

© 2024 Ein Jahr an der Grenze - Ein Programm des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds

Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds, Železná 24, 110 00 Praha 1, Tschechien, info@fb.cz