Jedenfalls trifft das für die deutschen und tschechischen Freunde am vergangenen Wochenende in der Mikroregion Konstantinolázeňsko zu.
Am frühen Vormittag fand sich bereits eine motivierte Truppe unter Bürgermeister Vladimír Krejča in Černošín ein, um eine Allee von Bäumen anzupflanzen. Unter fachkundiger Anleitung zweier Experten wurden Löcher gegraben und Bäume gesetzt. Natürlich blieb auch Zeit für eine Erfrischung und für Gespräche über deutsch-tschechische Themen.
Anschließend ging es weiter zum berühmten Apfelfest auf der Anhöhe Krasíkov. Dieses Fest mit verschiedenen kulinarischen und künstlerischen Beiträgen fand schon zum 22. Mal statt.
Fanden vor Corona teilweise bis zu 5000 Besucher zum Fest, hat man nun allmählich versucht, der Veranstaltung wieder einen gemeinschaftlicheren Charakter zu verleihen.
Durch die tolle Organisation ist das auch absolut gelungen und so konnten die immer noch zahlreichen Besucher das Fest mit Mošt und vielen Leckereien vollauf genießen.
Nicht fehlen durfte natürlich eine Delegation aus der Partnerregion Steinwald-Allianz. Knapp 50 Besucher sind mit dem Bus aus Bayern gekommen und verbrachten einen wunderschönen Nachmittag bei Ihren Freunden.
Bayerisches Bier, Würste und Brezen am Stand der Steinwald-Allianz bildeten so die Brücke und sorgten für reges Interesse an den Gästen.
Für das nächste Treffen müssen die beiden Partnerregionen Konstantinolázeňsko und Steinwald-Allianz aber sicher nicht bis nächstes Jahr warten. Bereits für die nächste Woche ist ein Treffen mit Vertretern und Bürgermeistern geplant.
Und wer weiß, vielleicht kann so ja aus dem Herbstblues und dem Herbst der Pilzesucher ein goldener Herbst werden – zumindest für die deutsch-tschechische Zusammenarbeit. 😉
Während der Zug durch das Elbtal rollt, habe ich Zeit, über die letzten drei Monate nachzudenken. Ich bin auf dem Weg nach Dresden, treffe mich dort mit einem Freund. Die Strecke von Litoměřice durch das Elbtal ist mir mittlerweile sehr vertraut, doch jede Fahrt bietet neue Perspektiven und Gedankenanstöße. Seit ich im Programm „Ein Jahr an der Grenze“ arbeite, hat sich mein Alltag stark verändert. In gewisser Weise spiegelt diese Reise auch meine Arbeit wider – eine konstante Bewegung, mal schneller, mal langsamer, mal einfach, mal kompliziert, aber immer begleitet von neuen Entdeckungen.
Die ersten Monate waren eine spannende, aber auch intensive Phase des Kennenlernens und Verstehens. Ich habe die Grenzregion, in der ich schon länger arbeite, auf eine völlig neue Weise erlebt. Menschen, die ich schon seit Jahren kenne, sind mir noch einmal auf ganz neue, überraschende Weise begegnet. Gleichzeitig hatte ich die Chance, viele neue Kontakte zu knüpfen und Menschen kennenzulernen, die sehr viel Energie in ihre Projekte und Hobbies stecken.
Aber es wäre eine Lüge zu behaupten, dass alles immer einfach gewesen wäre. Besonders die Ambivalenz der deutsch-tschechischen Beziehungen hat mich oft beschäftigt. Auf der einen Seite gibt es hier viele Menschen, die mit Begeisterung grenzüberschreitende Projekte unterstützen und aktiv an etwas Gemeinsamen arbeiten wollen. Ihre Energie und ihr Enthusiasmus sind ansteckend und geben mir Hoffnung für die kommenden Monate. Doch dann gibt es auch die andere Seite – unbeantwortete Emails, Menschen, die sich nach einem ersten Gespräch nie wieder bei mir melden. Ich merke, dass einige Leute keine Zeit oder Motivation haben, sich auf neue Projekte einzulassen. Manchmal setzen sie ihre Prioritäten anders, und oft habe ich Verständnis dafür. Jeder hat seine eigenen Herausforderungen, seine eigenen Sorgen. Trotzdem lässt mich dieser Gedanke nicht los: Desinteresse ist gefährlich, besonders in Zeiten wie diesen. Rassismus, Hass und Gewalt sind Alltag, auch in sonst freundlichen Gesprächen. In solchen Momenten wird mir klar, wie wichtig es ist, nicht aufzugeben, sondern weiterhin für Verständigung und Offenheit zu arbeiten. Deutsch-tschechische Projekte sind sicherlich nicht die Lösung all dieser Probleme, aber sie sind ein Schritt in die richtige Richtung. Sie helfen uns, unsere Herzen offen zu halten und den Dialog zu fördern, auch wenn es manchmal schwierig ist.
Es ist nicht immer einfach, ein Thema zu finden, welches die Jugendlichen von heute so sehr interessiert, dass sie ihm mehrere Tage ihrer Sommerferien in einer bisher unbekannten Gruppe widmen wollen. Doch Mara Schmied-Tautz, die sich vor zehn Jahren entschloss, vom westdeutschen Wuppertal in das kleine Dorf Lauterbach im sächsischen Erzgebirge zu ziehen, hat etwas gefunden, mit dem sich junge Menschen identifizieren können: GRAFFITI. Eine Kunstform, die sich zwar auf den ersten Blick nicht ohne weiteres mit der traditionellen Architektur erzgebirgischer Dörfer vereinbaren lässt, die aber immer häufiger zur Verschönerung von unansehnlichen Containern oder Industrieanlagen, aber auch von öffentlichen Plätzen wie der Bushaltestelle in der Ortsmitte eingesetzt wird.
Doch wie erreicht man ein Ergebnis, das nicht abschreckt, sondern die Aufmerksamkeit der Passanten weckt? Das ist eine Aufgabe für Profis, wie die Künstler des Chemnitzer Ateliers Rebel-Art, die sich seit über zwanzig Jahren mit Graffiti-Kunst beschäftigen und unter anderem viel Erfahrung mit Workshops für Jugendliche haben. Diesmal war es eine deutsch-tschechische Gruppe, wobei der deutsche Teil aus Lauterbach und anderen Ortsteilen Marienbergs bestand, die gerade ihre Sommerferien begonnen hatten. Die tschechische Hälfte bildeten Schüler der Grund- und Oberschule Duhová cesta (Regenbogenweg) in Chomutov, die sich für bildende Kunst interessieren und für die es eine angenehme Abwechslung war, in der letzten Woche des Schuljahres an drei Tagen nach Deutschland zu fahren.
Beim Anblick der großen gemauerten Bushaltestelle, die die Stadt Marienberg extra für dieses Projekt saniert hatte, konnte ich nicht glauben, dass in zwei Tagen Arbeit ein fast realistisches Panorama des Dorfes und seiner Umgebung entstehen konnte. Dieses interaktive Wimmelbild zeigt viele Stationen des historischen Rundweges Lauterbach, wie die Wehrkirche Lauterbach oder den Aussichtspunkt Lauterbacher Knochen, einen steinernen Meilenstein. Der Bach, der dem Ort seinen Namen gibt, fließt aus einer Flasche Lauterbacher Tropfen, der den Ort weit über seine Grenzen hinaus bekannt gemacht hat.
Die Schülerinnen und Schüler machten sich mit so viel Tatendrang an die Arbeit, dass wir sie bremsen mussten, um die Sprühdosen vor frühzeitigem Entleeren zu schützen.
Die Kommunikation fand hauptsächlich auf Englisch statt, auch wenn einige tschechische und deutsche Wörter bei der Sprachanimation hängen geblieben sein mögen.
In einem Interview mit der Redakteurin des mdr (Mitteldeutscher Rundfunk) gaben einige tschechische Mädchen zu, dass sie sich Deutschland überhaupt nicht SO vorgestellt hatten und dass die Erfahrung ihre Erwartungen übertroffen hat. Das hört man natürlich gerne, doch es bleibt die Frage, WIE sich die Jugendlichen das Nachbarland vorstellen, wenn sie es bisher nur vom Einkaufen oder den kurzen Besuchen im Wasserpark kannten.
Auf jeden Fall zeigen solche Projekte, dass sich die Anstrengungen, die einige Enthusiasten unternehmen, um ein mehrtägiges grenzüberschreitendes Projekt zu organisieren, durchaus lohnen. Manchmal dauert es ein paar Jahre von der Idee bis zur Realisierung, aber eine farbenfrohe Bushaltestelle wird noch viel länger den Ortskern zieren und die Erinnerungen der jungen Menschen, die so zu Kreativität und Entdecken einer anderen Kultur angeregt wurden, werden noch viel nachhaltiger sein.
Ein großes Dankeschön gilt an die Projektorganisatorinnen Mara und Sophie von der Diakonie Marienberg und an Renata von der Grund- und Oberschule Duhová cesta, die ich sofort für dieses Projekt begeistern konnte und die ihre Kollegin samt Schüler mit ihrer Begeisterung ansteckte. Außerdem organisierte sie eine Exkursion für die deutschen Projektteilnehmer an ihrer Schule, die so erfolgreich war, dass die deutschen Schüler angeblich sofort wechseln wollten. Warum eigentlich nicht – sei es nur für ein Jahr… Ich bin überzeugt, dass auch ein solcher Austausch viel Positives mit sich bringen würde.
Lebendig, bunt, konzentriert sowie kammer… so sahen die fünf tschechisch-deutschen Abende im Rahmen der Nacht der Kirchen 2024 in der Region Tachov aus.
Fünf Veranstaltungsorte mit eigener Geschichte, zehn Musikensembles, Workshops für Kinder und viele Zuhörer.
Auf den schönen Fotos von Petr Janik (MAS Český Západ) aus Böhmisch Domaschlag und Budigsdorf können Sie die Atmosphäre noch einfangen und die barocken Innenräume der Kirchen in Pístov und Brod bewundern.
Die Nacht der Kirchen hat unter anderem zum Ziel, der Öffentlichkeit ein Kulturerlebnis in Sakralräumen zu vermitteln. Dabei handelt es sich nicht nur um Kirchen, die regelmäßig zu Gottesdiensten besucht werden, sondern auch um Kirchen in der Grenzregion, die oft das ganze Jahr über leer stehen und in denen sich aufgrund der Ereignisse nach dem II. Weltkrieg auf tschechischer Seite nur wenige Gläubige versammeln. Diese Kirchen hatten kein leichtes Schicksal: Nach der Abschiebung der Sudetendeutschen blieben sie verlassen zurück, während des Kommunismus verfielen sie und wurden dann in den 1990er Jahren häufig geplündert. Jetzt scheint sich jedoch ein Lichtstreif am Horizont zu zeigen. Viele der bereits renovierten Bauwerke befinden sich in der Obhut von Gemeinden, Kirche oder Vereinen, die sich für ihre Rettung und Wiederbelebung stark machen.
Im Rahmen des vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds initiierten Projekts EIN JAHR AN DER GRENZE findet die Kirchennacht diesmal in fünf Kirchen der westböhmischen Grenzregion unter deutsch-tschechischer Regie statt. Und weil Musik auch ohne Worte verbindet, ist das Programm in Sachen Sprache „gänzlich barrierefrei“. Auf dem (imaginären) Podium werden sich jeweils ein deutscher und ein tschechischer Interpret begegnen.
In der Wallfahrtskirche St. Bartholomäus in Pístov wird der Tachover Domchor gemeinsam mit einem achtstimmigen Doppelquartett aus Bayern auftreten. Dirigent des Quartetts ist Florian Löw aus Plößberg. Herr Löw kann gut Tschechisch, denn „München ist weit – warum also nicht den sprachlichen Horizont gleich hinter der nahen Grenze erweitern“. Er fährt regelmäßig zu Proben ins westböhmische Tachov und jetzt kann man die beiden Ensembles gemeinsam erleben.
Das Doppelquartett tritt auch in der Kirche St.Maria Magdalena auf dem Schwamberg in Krasíkov auf – diesmal zusammen mit dem Regionalchor Souhlas aus Konstantinovy Lázně. Am späten Abend werden dann auf dem Platz vor der Kirche 60er-Jahre-Hits mit der Band Wenda Gang erklingen. Und bei guter Sicht können die Besucher mit zwei astronomischen Fernrohren den Nachthimmel beobachten.
In der St.-Anna-Kapelle inOlešná, einem Bau mit einer außergewöhnlichen Atmosphäre aus Schönheit, Verfall und Erneuerung, der schrittweise vom Verein Zachraň Annu rekonstruiert wird, stehen Klaviermusik einer jungen Interpretin und Jazz mit der deutschen Band Taktikum auf dem Programm.
Die DomaslaverKirche St. Jakob der Ältere lädt zu unkonventioneller Minimal Music aus Tirschenreuth und zu Barockkompositionen von Musica Festiva ein. Das Ganze wird durch Kunstworkshops für Groß und Klein und durch eine Ausstellung von Schülerinnen und Schülern der Kunstschule Planá bereichert.
Und in der St.Jakobskirche in Brod nad Tichou sind das Ensemble Cantilo aus Mariánské Lázně und die Jazzcombo der Kreismusikschule Tirschenreuth zu Gast. Letztere wird auf dem Platz vor der Pfarrei zu Kaffee und Tee aufspielen.
Die Programme der einzelnen Orte knüpfen zum Teil aneinander an, zum Teil finden sie unabhängig voneinander statt. Einen Zeitplan finden Sie unter www.nockostelu.cz. Die Juninacht ist für eine solche Verbindung mit der Musik wie geschaffen – lassen Sie sich das also nicht entgehen!
Ein Dreiländereck ist ein Ort, wo die Grenzen dreier Staaten aufeinandertreffen. Auf der Karte Europas gibt es davon Dutzende. Das deutsch-tschechisch-polnische Dreiländereck liegt am Zusammenfluss des Ullersbachs (Oldřichovský potok) mit der Lausitzer Neiße, wobei die Staatsgrenzen in der Mitte der beiden Flüsse verlaufen. Es befindet sich knapp 2 km vom Zentrum der Stadt Hrádek nad Nisou entfernt, unweit von Zittau und dem polnischen Bogatynia.
An diesem symbolträchtigen Ort finden das Volksfest „Auf dem gemeinsamen Weg“ und ökumenische Gottesdienste statt. Im Juni überbringt hier die Neiße-Fee auf dem Fluss eine Botschaft und im Dezember werfen die Bewohner des Dreiländerecks eine Flaschenpost ins Wasser.
Ich hatte an diesem Ort zuletzt, Ende August 2020, eine Demonstration gegen die abermalige Erweiterung des polnischen Braunkohlentagebaus Turów erlebt. Der in unmittelbarer Nähe zur deutschen und tschechischen Grenze gelegene Tagebau förderte damals rechtswidrig Kohle, und die tschechische Regierung hatte bei der Europäischen Kommission den ersten Impuls für eine Klage beim Europäischen Gerichtshof gegeben. Organisatoren der Demonstration waren Leute aus der Hrádeker Gegend, repräsentiert durch die Gruppe Hlavou proto Turów, die Organisation Greenpeace Česká republika, die Ortsgruppe Greenpeace Oberlausitz und die polnische Organisation Rozwój TAK – Odkrywky NIE. Teil des Protests waren auch eine durch das Gebiet aller drei Staaten verlaufende Menschenkette und eine Bootsfahrt mehrerer Dutzend Teilnehmender auf der Neiße. Die Organisatoren wollten auf die Notwendigkeit einer gemeinsamen Lösung für die allgegenwärtige Klimakrise verweisen. Der internationale Streit wurde jedoch im Februar 2022 schließlich durch ein eilig und nicht ganz transparent abgeschlossenes Abkommen zwischen den Regierungen Polens und der Tschechischen Republik beigelegt. In Turów wird daher nach wie vor Kohle gefördert – die Folgen bedrohen noch immer das Leben der Anwohner und stehen im Widerspruch zu den Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens und den Zielen des Green Deals. Turów bleibt somit ein explosives Thema, und das nicht nur im Dreiländereck.
Das kann oder muss man jedoch manchmal vergessen, denn im Dreiländereck tun sich seither auch andere Dinge. Am Samstag, dem 27. April 2024, wurde hier an die „Sternstunde Europas“ erinnert – an die Feier zur EU-Erweiterung im Jahr 2004, die 2007 mit dem Beitritt Polens und der Tschechischen Republik zum Schengen-Raum vollendet wurde. Die tschechisch-polnische Grenze kann man derzeit auf einem Steg über den Ullersbach überqueren. Die Ufer der Neiße verband einst die sogenannte Himmelsbrücke, die sich 200 Meter flussabwärts vom Dreiländereck befand, aber aufgrund ihres schlechten technischen Zustands abgerissen wurde. Danach hatten sich die Städte Hrádek nad Nisou, Zittau und Bogatynia für den Bau einer Dreiländer-Brücke (oder eher eines Fußgänger- und Radfahrerstegs) direkt am Zusammenfluss beider Flüsse stark gemacht. Dieses Projekt erwies sich jedoch aufgrund der unterschiedlichen Rechtslage in allen drei Ländern als Utopie, als Science-Fiction, kurz: als unrealistisch. Und so musste zur 20-Jahr-Feier der EU-Erweiterung mit Unterstützung des Technischen Hilfswerks eine provisorische Brücke vom deutschen zum tschechischen Ufer errichtet werden.
Am Tag der Feier konnte man daher ungestört zwischen den Ländern hin und her laufen. Es war ein sehr warmer Tag. Man musste auf die Trinkmenge achten und sich vor der gleißenden Sonne schützen, sodass man auf tschechischer Seite um ein Bier nicht herumkam, in Polen gierig ein Fruchteis verschlang und in Deutschland schließlich seinen Energietank mit allerlei Fast- und Junkfood auflud. Damit es nicht nur bei solch kulinarischen Erlebnissen blieb, fand auf dem Hauptpodium der Feier ein ganztägiges – vorwiegend musikalisches – Kulturprogramm mit lokalen Folkloreensembles, Tanzgruppen, klassischer und alternativer Musik statt. Dieses Hauptpodium befand sich auf tschechischer Seite. Auf polnischer Seite konnten sich vor allem die Kinder austoben, für die eine Hüpfburg und andere Attraktionen aufgebaut waren. Auf deutscher Seite präsentierten sich in seriöser Weise verschiedenste grenzübergreifend tätige Organisationen und Initiativen, darunter auch der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds.
An dessen Stand informierten wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen über die Tätigkeit des Fonds und über das laufende Programm „Ein Jahr an der Grenze“. Letzteres ist vielen noch immer neu, weshalb sein Sinn und Inhalt erläutert und an seiner Popularisierung gearbeitet werden muss. Die Besucher der Veranstaltung waren zumeist Einheimische aus dem Grenzgebiet, aus der Region Liberec und der Oberlausitz – also aus „meinen“ Regionen, an die sich das Programm unter anderem richtet. Sie hörten sich daher gerne an, worum es in dem Programm geht und was es zu bieten hat. Einige nahmen Visitenkarten mit und überlegten, wie sie „Ein Jahr an der Grenze“ selbst nutzen könnten. Und nach meiner fast einjährigen Tätigkeit in dem Programm konnte ich ihnen auch schon einzelne Beispiele für Networking und für zustande gekommene Kooperationen zwischen deutschen und tschechischen Akteuren vorstellen, so z.B. die Vernetzung regionaler Bibliotheken, kommunaler Kultureinrichtungen, ökologisch oder sozial ausgerichteter Bildungsorganisationen oder örtlicher Sportklubs. Diese Aktivität verlagerte sich dann für ungefähr eine Stunde in einen Festivalzug, der in regelmäßigen Abständen das ganze Dreiländereck abfuhr. Einen Waggon hatte nämlich der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds gemietet, um die Fahrgäste auf unterhaltsame Art über seine langjährige Tätigkeit in den deutsch-tschechischen Beziehungen zu informieren. In Form eines Gesprächs mit mir und meinem Kollegen Steffen Retzlaff sollte auch das vom Fonds organisierte Programm „Ein Jahr an der Grenze“ vorgestellt werden. Der erfahrene Moderator Justin Svoboda, der fast den ganzen Tag im Waggon verbracht hatte, kam jedoch zu dem vernünftigen Schluss, dass für das geplante Gespräch, in dem ich von meiner bisherigen Tätigkeit in der Grenzregion berichten sollte, während der Zugfahrt nicht gerade die besten Bedingungen herrschen. Daher schaltete er während der Fahrt lieber erholsame Lieder ein, ließ den zusteigenden Fahrgästen an jeder Station eine herzliche Begrüßung zuteilwerden, und während sie ein- und ausstiegen, vermittelten wir ihnen einen schnellen, aber intensiven Eindruck von den Erfolgen des Fonds während seiner 25-jährigen Tätigkeit wie auch von der Existenz des Programms „Ein Jahr an der Grenze“. Wer mehr wissen wollte, konnte uns natürlich fragen. Die meisten Fahrgäste waren jedoch froh, dass sie überhaupt in den Zug gekommen waren und eine Weile einfach so irgendwo hinfuhren….Auf diese Erfahrung folgte dann noch der Abschluss des Fests mit drei gemeinsamen Feuern – „Dreiländerfeuern“, wie im Programm zu lesen war. Auf jeder Seite der Grenze wurde ein großer Holzhaufen errichtet, der bei Einbruch der Dämmerung entzündet werden sollte. Dies war ein geplanter symbolischer Akt, an dem unter Aufsicht von Feuerwehrleuten auch Lokalpolitiker teilnahmen. Doch welcher Symbolgehalt ließ sich aus den einzelnen Feuern herauslesen? Das tschechische Feuer loderte als erstes auf, es brannte am schnellsten und erlosch auch zuerst. Das deutsche brannte beharrlich, mit durchschnittlich starker, beständiger Flamme und warf seinen Lichtschein auf die dunkel gewordene Neiße. Das war schön, aber auch etwas langweilig… Das polnische Feuer brannte, obwohl man es mehrfach und nicht gerade sparsam mit Benzin übergoss, erst lange Zeit gar nicht, und dann qualmte es mehr als es brannte. – Wie Turów, könnte man sagen. (Sorry für den Sarkasmus, doch es war ein etwas verlegener und komischer Abschluss des Tages.) Vielleicht wäre ja EIN gemeinsames Feuer besser gewesen, bei dessen Errichtung und Entzündung sich die drei Länder helfen und in dem sich die guten wie schlechten Eigenschaften von allen dreien verbinden… Vielleicht ja dann nächstes Mal, beim nächsten runden EU-Beitritts-Jubiläum im Dreiländereck! Vielleicht dann schon ohne Turów und mit einem gemeinsamen Feuer! Mit dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und einem weiteren „Jahr an der Grenze“! Und vielleicht auch schon mit einer Dreiländer-Brücke, deren gleichmäßige Brückenarme Symbol einer tatsächlichen Gleichberechtigung aller drei Länder im Rahmen einer EU sind!
Im Blog zur Museumslandschaft im Dreiländereck stellte ich fest: Es sind keine Idealtypen, sondern „echte Menschen“, die jeden Tag mit viel Herzblut die Vielzahl interessanter und lebhafter Museen „am Laufen halten“. Wie können wir den Austausch zwischen ihnen unterstützen? Sie anregen, sich häufiger über aktuelle Projekte und Zukunftspläne zu informieren? Vielleicht sogar dazu animieren, gemeinsame Unternehmungen zu entwickeln? Nun, der erste Befund war offensichtlich: Viele Themen und Vermittlungsformen, aber auch viele Herausforderungen sind für die Museen auf beiden Seiten der Grenze ähnlich oder gleich. In den einzelnen Gesprächen und Kontakten zeigt sich immer wieder Befund Nummer zwei: Das Interesse an „den anderen“ ist groß. In der Vielzahl der täglichen Aufgaben aber geht so mancher Versuch der Kontaktaufnahme unter, bleibt auf halbem Wege stecken. Corona tat dann oft den Rest. Unser Plan war darum schnell gefasst: Wir laden einfach alle ein. Gemeinsam mit Kamila Jůzlová aus dem Gebiet Tachovsko – Oberpfalz organisieren wir kleine, offene Treffen für die Museumsleute der Region in ausgewählten Häusern – natürlich gleichberechtigt auf alle drei Regionen verteilt. Nun, nach der dem zweiten Treffen – Halbzeit gewissermaßen – ist Zeit für ein kleines Zwischenfazit.
Den Anfang machte das Sächsische Bademuseum in Bad Elster am 14. März. Es ist eingebettet in die großzügige Kunstwandelhalle im Kurpark. Eine beeindruckende und angemessene Kulisse für den Start. Unserer Einladung sind 35 Fachleute verschiedener Institutionen gefolgt: vom kleinen Stadtmuseen, über die Regionalmuseen, zum Geschichtspark Tachov-Bärnau, Burgen und großen Häusern wie dem Porzellanikon, dem staatlichen Museum für Porzellan aus Bayern. Doch nicht nur für Museen ist so ein Treffen spannend. Auch Vertreter eines Kulturhauses, des Denkmalamts in Loket oder des örtlichen Geschichtsvereins waren dabei. Stephan Seitz von der Churchsächsischen Veranstaltungs GmbH, die die Dauerausstellung betreibt, führte fachkundig und mit sichtbarem Stolz durch die Schau. Frau Nová dolmetschte souverän nicht nur diesen Teil des Treffens. Die besten Ergebnisse erzielt man auf Konferenzen in den Pausen, sagte einmal jemand. So hielten wir es auch. Beim Kaffee kam es zur gewünschten Grüppchenbildung. Sprachbarrieren gab es dabei keine. Und wenn doch, halfen Frau Nová und wir einfach aus. Museumsleute habe niemals Zeit und erzählen doch immer gern und lang von ihrer Arbeit. Umso überraschender war, dass alle sich an die Vorgabe hielten, ihre Häuser in nur drei Minuten vorzustellen. Bei so vielen Teilnehmenden wundert es nicht, dass die Vorstellung trotzdem die meiste Zeit in Anspruch nahm. Schon war das Auftakttreffen vorbei. Zum Glück hatten sich einige ein Herz gefasst und während der Pausen Ideen und Vorschläge für die Fortsetzung auf den Flipcharts hinterlassen.
Die Fortsetzung folgte am 25. April im Porzellanikon in Hohenberg – einer der beiden Standorte dieses großen Museums. Ein zweiter befindet sich im nahen Selb. Dort steht die industrielle Produktion im Vordergrund. In Hohenberg tagten wir zwischen Vitrinen mit erlesenen, kunstvollen Stücken des 20. Jahrhunderts. Die Kuratorin Frau Petra Werner stellte uns diese und weitere Highlights aus Jahrhunderten Porzellankunst mit viel Sachkenntnis und einigen Einblicken in die Museumarbeit vor. Auch ein Blick in die Sonderausstellung „Schach und Porzellan“ durfte nicht fehlen. Die 25 Teilnehmenden waren sichtlich beeindruckt und hätten noch viel Zeit auf den 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche verbracht, hätten wir sie nicht zur Kaffeepause „gedrängt“. Dort bot sich uns das fast schon vertraute Bild: Manche freuten sich über ein Wiedersehen, andere lernten sich endlich kennen. Erneut sehr diszipliniert stellten alle ihre Häuser und aktuellen Projekte vor – diesmal mit einer kleinen Sonderaufgabe: Welche Beziehung haben Sie zu Porzellan?
Zur Sprache kamen aber verstärkt auch die drängenden Fragen der Zeit: Wie lassen sich die Anforderungen an moderne Ausstellungen Trägern und Verantwortlichen in der Politik vermitteln. Welche Chancen haben grenzübergreifende Projekte? Sollte man sich erst intensiver kennenlernen oder gleich gemeinsame Projekte entwickeln? Wie kann man eine Basis zum regelmäßigen Austausch schaffen? Fragen über Fragen, die wir mitnehmen zum dritten Vernetzungstreffen, am 6. Mai in der spannenden Ausstellung zum Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in Plesná / Fleißen.
Nach mehreren Versuchen, die Jugendlichen von Kadaň ins Ausland zu bringen, gelang es Hana Vodrážková, der Leiterin des Familienzentrums RADKA, zwei Autos mit Schülern zu füllen, die ebenfalls neugierig waren, wie ein deutsches soziokulturelles Zentrum funktioniert. Und die Alte Brauerei in Annaberg ist wirklich einzigartig weit und breit. Jeden Nachmittag treffen sich hier Menschen unterschiedlichen Alters, um zu singen, Schach oder Skat zu spielen, zu diskutieren, Tschechisch, Gitarre oder Schlagzeug zu lernen, ein besonderes Konzert zu genießen oder sich einfach mit Freunden zu einem leckeren vegetarischen Essen für einen symbolischen Betrag zu treffen.
Um die Jugendlichen aus Kadaň und Marienberg kümmerte sich Christoph, ein wundervoller Informatiklehrer, der bei der jüngeren Generation punkten konnte, indem er uns einfach mit perfekten Englisch ansprach. Warum auch nicht – die Computerwelt rechnet sowieso nicht mit anderen Sprachen und so wurde wenigstens niemand benachteiligt.
In der nächsten Stunde wuchsen unzählige fantastische Büsten auf den Bildschirmen und Christoph schaffte es sogar, zwei davon auf einem 3D-Printer zu drucken. Um untereinander ins Gespräch zu kommen, nutzte ich meine zweisprachigen Kennenlernwürfel, die nicht nur bei den Jugendlichen, sondern auch bei den Betreuern gut ankamen. Es folgte ein wohlverdientes Abendessen im Rahmen der sg. VOLKXKÜCHE (die leckeren vegetarischen Döner ließ sich niemand entgehen) und ein gemeinsames Tischtennisspiel, von dem sich die Jugendlichen nicht losreißen konnten.
Vor der Abreise bestanden alle noch auf ein Gruppenfoto, was an sich schon ein Beweis dafür ist, dass wir uns auf eine Fortsetzung freuen können.
Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich Aktivaufenthalte in der Natur liebe. Denselben Enthusiasmus, den ich für die deutsch-tschechischen Beziehungen hege, hege ich auch für den Amateursport. Eine absolut ideale Kombination ist, wenn ich durch die Grenzregion joggen und neue Orte entdecken kann. Dazu forderte der Ort, an dem wir unser drittes Teamtreffen in Kühnhaide verbrachten, geradezu heraus. Gleich neben dem Atelier Kühnhaide verläuft die Staatsgrenze. Kurz: Es war ein Teamtreffen von „Ein Jahr an der Grenze“, wie es sein soll!
Ebenso mache ich keinen Hehl daraus, dass ich kein Frühaufsteher bin. Doch die einzige Möglichkeit, die Umgebung kennenzulernen, war früh am Morgen. Also nahm ich die Herausforderung an und ich habe es nicht bereut! Und schon während der ersten Meter konnte ich eine Parallele zu meinem zweijährigen Engagement im Programm „Ein Jahr an der Grenze“ entdecken.
Ich renne einen unbekannten Weg entlang, die Zeit bis zu unserer Besprechung läuft und ich muss mich entscheiden, welchen Weg ich nehme. Vor einer ähnlichen Entscheidung stand ich vor knapp zwei Jahren im Rahmen unseres Programms: Welche Richtung werde ich einschlagen, an welche Zielgruppen soll ich mich wenden und was möchte ich bei der Vernetzung von Vereinen, Institutionen und Einzelpersonen erreichen? All das war ganz allein mir überlassen. Eine gute Gelegenheit, Freiheit und auch ein Experiment, jedoch mit der begrenzten Zeit eines Jahres, was ich rückblickend zu schätzen weiß: Es war keine Zeit, um Zeit zu verlieren, und trotzdem fanden mehrere deutsch-tschechische Austauschveranstaltungen statt und ich konnte zur Entstehung neuer Kontakte beitragen, die bis heute gehalten haben. Einige davon trugen erst im Laufe des zweiten Jahrgangs Früchte. Doch es ist wie beim Sport – da ist das Ergebnis auch nicht gleich sichtbar.
Was jedoch sofort sichtbar ist: Ich habe etwas vergessen, und zwar, mir eine Offline-Karte herunterzuladen. Ich bin nicht mehr in meiner Region in Bayern, sondern schon in Sachsen, und so wird mein Lauf für mich zu einer Art Orientierungslauf – ich schaue mich um und suche nach dem richtigen Weg. Ein weiterer schöner Vergleich mit „Ein Jahr an der Grenze“: Man muss die Augen offenhalten, sich immerzu umschauen und wenn man irgendwelche Indizien entdeckt, jemand Interesse an den nachbarschaftlichen Beziehungen, an der Kultur oder Sprache des Nachbarlandes zeigt oder auch nur einen „Kompagnon“ mit denselben Interessen und Aktivitäten auf der anderen Seite der Grenze sucht, dann muss man dieses Interesse fördern und im Idealfalle helfen, einen solchen Partner zu finden. Manchmal geht das ganz leicht und manchmal ist es eine Herausforderung – die uns jedoch Gelegenheit bietet, aus unserer Komfortzone herauszukommen und Einblick in völlig neue Bereiche zu gewinnen. Es liegt nur an uns, wir haben komplette Freiheit.
Und um bei den Herausforderungen und Erkenntnissen zu bleiben: Auch ich kombiniere heute beides: Ich laufe zu ungewohnt früher Morgenstunde, in einer neuen Umgebung, mehr Kilometer, als ich gewohnt bin, und teilweise ohne Karte durch eine herrliche Landschaft auf deutscher wie tschechischer Seite. Und ich sage mir, dass dies das nahende Ende meines Engagements in diesem Programm direkt an der deutsch-tschechischen Grenze in gelungener Weise abrundet.
Dass der zweite Programmjahrgang sich dem Ende zuneigt, ist jedoch eine gute Nachricht für all jene von euch, die noch überlegen, ob sie sich für das Programm melden. Die Chance besteht noch, die Frist wurde nämlich bis 7.4. verlängert!
Der dritte Jahrgang unseres Programms „Jahr an der Grenze“ steht kurz vor dem Start. Und wir haben guten Grund, dieses Programm erneut auszuschreiben dafür. Dutzende von Veranstaltungen wurden in den letzten zwei Jahren dank der Initiative unserer Enthusiasten durchgeführt. Sie haben bewiesen, dass das Potenzial der deutsch-tschechischen Grenzregion keine Grenzen kennt! Und die Energie, die sie investiert haben, hat sich ausgezahlt. Sie hat sich in Freude über neue Begegnungen und gemeinsame Erlebnisse verwandelt.
Ist Ihnen auch wichtig, wie es sich in Ihrer Umgebung lebt?
Möchten Sie selbst Einfluss darauf nehmen und Menschen von beiden Seiten der Grenze verbinden und inspirieren?
Machen Sie mit!
Im Mai startet der 3. Jahrgang unseres Programms „Ein Jahr an der Grenze“.
Die deutsch-tschechische Grenze ist schon längst keine Barriere mehr, sondern ein offener Raum für neue Möglichkeiten, Begegnungen und Zusammenarbeit. Sie saugt Energie auf, wird stärker und wächst. Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds ist seit mehr als 25 Jahren an der Entwicklung der Grenzregion beteiligt.
Jetzt sucht er aktive Menschen, die direkt auf der deutschen oder tschechischen Seite der Grenze leben und Ideen haben, wie sie verschiedene Lebensbereiche in ihrer Nachbarschaft bereichern können. Sie sind kommunikativ, können grenzüberschreitende Kontakte zu den Nachbarn knüpfen und ein stabiles Netz neuer Verbindungen schaffen. Haben Sie das Gefühl, dass wir Ihre Gedanken lesen? Würden Sie es gerne ausprobieren? Lassen Sie es uns wissen!
Zur Mitwirkung an diesem Programm suchen wir
Enthusiasten und Macher (w/m/d)
aus der deutsch-tschechischen Grenzregion.
Dauer des Programms: Mai 2024 – April 2025
finanzielle Vergütung für 20 Stunden/Woche für ein ganzes Jahr
Tschechisch-Kenntnisse von Vorteil, aber keine Bedingung
Ziele des Programms:
Entdecken, Nutzen und Vertiefen der Potenziale für Begegnungen, Zusammenarbeit und Partnerschaft in der Grenzregion
Ansprechen und Zusammenbringen neuer Akteure aus Zivilgesellschaft, Vereinen, Gemeinden und Kirchen von beiden Seiten der Grenze
Inspirieren und Ermutigen zu neuen Wegen und Formaten der Begegnung
Unterstützen von gemeinsamen grenznahen Treffen und Projektvorhaben
Worauf Sie sich freuen können:
eine interessante und abwechslungsreiche Tätigkeit mit Raum für Kreativität und Weiterentwicklung
eigene Aktivitäten im Umfang 20h/Woche, Dauer 12 Monate
angemessene Bezahlung
interessante und inspirierende deutsch-tschechische Begegnungen
Mentoring und regelmäßige Evaluation
Übernahme von Telefon- und Fahrtkosten
Was Sie mitbringen sollten:
Enthusiasmus, Neugier und Lust, Menschen im Grenzgebiet zusammenzubringen
Interesse an deutsch-tschechischen Themen
Überblick über interessante (zivilgesellschaftliche) Aktivitäten im Grenzgebiet und gute Vernetzung
Eigeninitiative und Flexibilität
Tschechisch-Kenntnisse von Vorteil, aber keine Bedingung
sehr gute Kommunikationsfähigkeit und offenes Auftreten
Wohnort in der deutsch-tschechischen Grenzregion
Führerschein Klasse B, eigener PKW sowie Bereitschaft zum Reisen
Wir freuen uns über alle Bewerberinnen und Bewerber, die sich mit Enthusiasmus und Neugier für eine lebendige deutsch-tschechische Grenzregion engagieren möchten. Vorerfahrungen in der deutsch-tschechischen Projekttätigkeit keine Bedingung.
Im Rahmen des Programms „Ein Jahr an der Grenze“ werden Sie nicht selbst Projektaktivitäten durchführen, sondern interessierte Akteure von beiden Seiten der Grenze inspirieren, zusammenbringen und bei gemeinsamen Aktivitäten unterstützen. Bitte legen Sie Ihren Bewerbungsunterlagen eine Skizze bei (max. 2 Seiten), in der Sie an zwei Beispielen beschreiben, wie Sie die potentiellen Akteure ausfindig machen und ansprechen würden.
Bitte schicken Sie alle erforderlichen Bewerbungsunterlagen (Motivationsschreiben, Skizze, Lebenslauf, Nachweis der Sprachkenntnisse) per Email bis zum 7.4.2024 an Frau Helena Vaňková (helena.vankova@fb.cz), die auch Ihre eventuellen Fragen gern beantwortet:
So lautet der bezeichnende Titel eines Langzeitprojekts des Kunstfotografen Herbert Pöhnl. Für diesen aus Furth im Wald stammenden Mann ist die Grenze ein Lebensthema. Schon viele Jahre lang bricht er immer wieder auf, um mit seinem Objektiv das Leben der Menschen in der bayerisch-böhmischen Grenzregion einzufangen. Wie er selbst sagt, „möchte er mit seinem Projekt die Nachbarschaft stärken, das Verständnis der Bayern für die Tschechische Republik und das der Tschechen für Bayern fördern“. Er fotografiert nicht nur Bürgermeister und bedeutende, aktive Persönlichkeiten aus der Region, sondern auch ganz „gewöhnliche“ Leute: Landwirte, Arbeiter, Mitarbeiter von Unternehmen oder Angehörige nationaler Minderheiten. Er beobachtet und dokumentiert die Vielfalt des Lebens im Grenzgebiet. Und er tut dies mit der ihm eigenen Begeisterung, mit dem ihm eigenen Humor und Optimismus. Bis dato kann er schon mehrere Publikationen und eine Vielzahl von Ausstellungen in beiden Ländern verbuchen.
Ich bin Herbert schon vor vielen Jahren durch puren Zufall begegnet (in unserer Grenzregion ist die Welt klein), zum zweiten Mal dann im Rahmen meiner Tätigkeit für „Ein Jahr an der Grenze“. Und seither relativ oft. Herbert, der seine neuesten Arbeiten präsentieren wollte, hatte mich gebeten, ihm bei der Suche nach einem Partner auf tschechischer Seite wie auch bei der Organisation der Ausstellung behilflich zu sein. Nach einem erfolglosen Kooperationsversuch mit der Stadt Kdyně kam ich auf die Idee, ihn mit Kristýna Pinkrová vom Domažlicer Centrum Hindle bekanntzumachen.
Das Centrum Hindle ist ein Projekt des Vereins Chodsko žije! (Das Chodenland lebt!), der seit seiner Gründung im Jahr 2014 Kultur- und Bildungsaktivitäten mit Schwerpunkt auf der Region Domažlice organisiert. „Hindle“ bedeutet im chodischen Dialekt der Ort zwischen hier und dort. Hindle – das ist die Region zwischen Pilsen und Regensburg, wo es nicht darauf ankommt, in welcher Sprache man spricht, sondern dass man einander versteht. Seele des Projekts ist die wissbegierige Historikerin und Buchautorin Mgr. Kristýna Pinkrová, die unermüdlich versucht, der Schönheit und den Rätseln dieses Landstrichs auf die Spur zu kommen (und dies keineswegs nur für sich selbst). Das Projekt wird vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gefördert und umfasst neben regelmäßigen Vorträgen und Gesprächen mit interessanten Gästen auch Ausstellungen, Führungen, Exkursionen oder Workshops zu regionalen Handwerken.
Bei einem ersten Kennenlern-Treffen im September 2023 wurde ein Termin für eine Ausstellung im Frühjahr dieses Jahres vereinbart. Zum zweiten Treffen im Dezember brachte Herbert seinen Freund Alfred Bruckner vom Verein Freiraum Furth – Verein für Kunst und Kultur e.V. Furth im Wald mit und man kam überein, dass die Ausstellung – als erste Veranstaltung einer geplanten langfristigen Zusammenarbeit zwischen dem Centrum Hindle und dem Verein Freiraum – unter der Schirmherrschaft dieses Kulturvereins stattfinden soll.
In einer sehr freundschaftlichen und fröhlichen Atmosphäre haben wir dann die Ausstellung gemeinsam aufgebaut. Ein Highlight war die gelungene Vernissage, die am Freitag, dem 16. Februar 2024, in den Räumen des Centrum Hindle am Domažlicer Marktplatz stattfand. Nach der feierlichen Eröffnung und den einführenden Worten Kristýna Pinkrovás und Herbert Pöhnls, die zu dolmetschen ich die Ehre hatte, wurde ein Kurzfilm über Herberts Arbeit gezeigt, der unter folgendem Link verfügbar ist: https://www.youtube.com/watch?v=Ci54ghqgers .
Auf der Vernissage bin ich etlichen bekannten Gesichtern begegnet. Mit vielen davon arbeite ich im Rahmen von „Ein Jahr an der Grenze“ zusammen. Ich hatte jedoch auch Gelegenheit, neue interessante und liebe Leute aus der deutsch-tschechischen Welt kennenzulernen, so z. B. die Dolmetscherin Marta Klimmer aus Viechtach, die zusammen mit der Domažlicerin Veronika Němcová das erste bayerisch-deutsch-tschechische Wörterbuch verfasst hat.
Am Rande der kleinen Gemeinde Wiesau leuchten im spätnachmittäglichen Dämmerlicht die Fenster einer großen Turnhalle. Hier treffen sich heute um die fünfzig Kinder zum Training. Die kleinen Athleten vom SKP Union Cheb im rosa, die vom hiesigen TB Jahn Wiesau im roten Sportdress.
Es handelt sich um das zweite Treffen der beiden Athletik-Sektionen, und heute wird um Medaillen gekämpft (-:
Auf dem Programm stehen 30-Meter-Sprint, zwei verschiedene Hochsprungarten und Ball-Weitwurf. Die Kinder werden sich in gemischten, nach Jahrgängen geordneten Teams zu den einzelnen Austragungsplätzen begeben. Die Jüngsten sind Erstklässler, die Ältesten Jahrgang 2013.
Vorher habe ich für sie aber noch eine Sprachanimation in petto. Das ist offenbar nicht nur für mich, sondern auch für sie eine Premiere. Fünfzig kleine Hüpfer in einem Kreis zu halten, scheint zunächst schwierig. Bald sind jedoch schon einzelne Grüße in beiden Sprachen zu hören. Die Kinder stellen sich mit dem einfachen Satz „Ahoj, já jsem….“ / „Hallo, ich bin….“ ihrem Nachbarn vor, wir werfen uns gegenseitig einen Ball zu und zum Schluss probieren wir mit den Grüßen noch eine La-Ola-Welle.
Für mehr reicht die Zeit nicht. Die Kinder eilen zu den verschiedenen Austragungsplätzen und man sieht, dass sie das Beste aus sich herausholen wollen.
Auf dem Siegerpodest stehen dann oft deutsche und tschechische Sportlerinnen und Sportler nebeneinander. Die Siegerehrung ist vom Applaus zahlreicher Eltern begleitet. Die Trainerinnen sehen zufrieden aus und die Kinder haben die heutige Version einer „Winterolympiade“ bestimmt auch genossen. Beim nächsten Mal dann vielleicht wieder in Cheb…
Seit Dezember 2022 schon entführt das Theater Cheb seine Zuschauerinnen und Zuschauer in die Welt der Märchen: „Es war einmal hinter den sieben Bergen“ (im Tschechischen sind es neun Berge: Bylo nebylo za devatero horami). Rasant führt der Erzähler und Moderator Kájen durch fünf tschechische Märchenklassiker im modernen Gewand und bezieht das Publikum immer wieder mit ein. So weit so gut.
Den Kontakt zwischen dem Theater Cheb und dem Rosenthal-Theater in Selb hatte schon meine Vorgängerin im Projekt, Iva Ellrodt, hergestellt. Siehe ihren Blog vom 16.3.2023. Zu Beginn des Jahres 2024 ist es endlich soweit: Am Sonntag, 7. Januar, wird „Es war einmal…“ in einer deutsch-tschechischen Version in Selb aufgeführt. Kájen spricht das Publikum überwiegend deutsch an, die Dialoge aber erklingen mal in der einen, mal in der anderen Sprache. So kann man der Handlung folgen und bekommt doch ein Gespür für die Grenzen der Zweisprachigkeit. Am Montag darauf, am 8. Januar, folgt eine besondere Vorstellung und ein schönes Beispiel, wie Begegnung aussehen kann, wenn alles Gute zusammenkommt:
Als ich den Saal des Rosenthal-Theaters betrete, schlägt mir das Rauschen von über 250 Kinderstimmen entgegen. Jeder teilnehmenden Schule aus Selb und Aš ist eine Sitzreihe zugeordnet. Nach den obligatorischen Begrüßungsreden geht es zur Sache: Simona Pöder Innerhofer und Christoph Mauerer von TANDEM bringen den Saal zum Kochen. Die beiden Sprachanimateure passen ihr Konzept für kleinere Gruppen kurzerhand an: einmal herumdrehen bitte und sich in der Zielsprache vorstellen: Hallo, ich bin… Ahoj, já jsem… Auch Bewegung kommt nicht zu kurz. Aus der berühmten Tanzszene „I like to move it, move it“ aus dem Zeichentrickfilm Madagascar (https://www.youtube.com/watch?v=hdcTmpvDO0I) wird I like to mluv it, mluvit. Mit dem Fliegerlied von Tim Toupet (https://www.youtube.com/watch?v=DDu5n9-ZkRE) dürfen neue Worte spielend und tanzend ausprobiert und gemerkt werden.
Schon ist Halbzeit beim Deutsch-Tschechischen Theatertag. „Für mich war es sehr berührend, wie aufgeschlossen und neugierig die Schülerinnen und Schüler aufeinander waren. Sie haben die neu gelernten Wörter und Sätze gleich ausprobiert.“, erinnert sich Eva Wolff Fabris an die Mittagspause, in der das Foyer „ihres“ Theaters von hungrigen Kindern geflutet wurde. Sie haben sich dabei nämlich nicht nur an den zwei Stationen mit kräftigen bayerischen Snacks versorgt. Sie sind auch in Kontakt und ins Gespräch gekommen.
Als die Glocke zum dritten Mal schlägt, ist es endlich so weit: Theater! Die Stille aber hält nicht lang und soll sie auch gar nicht. „Also“, ruft Kájen ins Publikum, „Soll dieses Märchen bleiben oder nicht?“ „Jaaaaaa“ oder „Anoooooo“ – Keines der fünf Märchen fällt beim begeisterten Publikum durch. Es wird gebannt dem Geschehen gefolgt, aber auch laut regiert bei Ansprache. Als „Geld“ ins Auditorium fliegt, hält es niemanden mehr auf den Sitzen. 75 Minuten Vorstellung vergehen sprichwörtlich wie im Flug. Nur langsam leeren sich die Reihen des Theatersaals, als leider die Abreise ansteht. Jeder und jede bekommt eine Tüte des Rosenthal-Theaters mit auf den Heimweg.
Wie fällt Ihr Fazit aus, Frau Wolff Fabris? „Ich hoffe, dass der Deutsch-Tschechische Theatertag das europäische Miteinander gestärkt hat. […] Trotz aller sprachlicher Unterschiede zeigte sich in der Vorbereitung, dass die Schülerinnen und Schüler in Asch und Selb dieselben Märchen kannten. Es gibt kulturelle Gemeinsamkeiten, die verbinden. Gerade Märchen offenbaren viel über die jeweilige Kultur. Spannend war auch, ob ein zweisprachiges Stück wirklich beide Sprachgruppen bedienen kann. Die Schüler/innen – tschechische oder deutsche – haben sich rege am interaktiven Theaterstück des Theaters Eger beteiligt. Dieses Projekt sollte den Freundschaftsgedanken der Bayerisch-Tschechischen Freundschaftswochen in das Jahr 2024 weitertragen. Die Neugier an den Nachbarn sollte geweckt werden und der Spaß am Kommunizieren, auch jenseits der Wörter, gefördert werden.“
Und mein Fazit? So können sie im Idealfall aussehen, deutsch-tschechische Begegnungen und Zusammenarbeit, wenn „alles Gute zusammenkommt“, wie man so schön sagt. Das heißt vor allem, alle Akteure und Institutionen arbeiten zusammen und tragen zum Erfolg bei. Der erste Kontakt? Vermittelt im ersten Jahrgang von „Ein Jahr an der Grenze“. Sprachanimation durch TANDEM des Koordinierungszentrums Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch (Regensburg/Plzeň). Anreise und Durchführung gefördert von Euregio Egrensis Arbeitsgemeindschaft Bayern, unterstützt von den Bürgermeistern aus Selb und Aš. Und natürlich bleiben das Theater Cheb und das Rosenthal-Theater Selb auch auf meinem Radar. Denn diese wundervolle Veranstaltung war erst der Startschuss, oder Frau Wolff Fabris? „Zukünftig soll es weitere Projekte dieser Art geben, denn da sich die Muttersprachen stark unterscheiden, muss in Grenzgebieten aktiv in eine Verständigung investiert werden.“ Recht hat sie!
„Für wen machen wir das alles hier eigentlich?“ Diese mehr als berichtigte, geradezu zentrale Frage stellen wir uns nicht nur im Projekt Ein Jahr an der Grenze immer wieder. Alle, die ihre Zielgruppen konkreter als mit „irgendwie alle“ beantworten, versuchen mehr über die Bedürfnisse und Motivation jener Menschen zu erfahren, an die sie sich wenden. Bildungsträger, aber auch Marketingfirmen und Tourismusverbände nutzen dafür immer häufiger die Persona-Methode. Dabei werden Urtypen von Nutzerinnen und Nutzern mit bestimmten Merkmalen und Charaktereigenschaften, Erwartungen, Zielen und Bedürfnissen entworfen.Um mit ihnen ein fiktives Gespräch führen zu können, erhalten sie Namen, Gesichter und einen individuellen Lebenslauf.
Danny S. (32) aus Nürnberg zum Beispiel verbringt mit seiner Freundin Judith und ihrem 8jährigen Sohn jedes Jahr den Sommerurlaub im Fichtelgebirge. Outdoor-Aktivitäten und gastronomisches Angebot stehen für die junge Familie im Vordergrund. Sie gehört zur adaptiv-pragmatischen Zielgruppe, flexibel, weltoffen und digital. Trotz hoher Leistungs- und Anpassungsbereitschaft dürfen Spaß, Komfort und Unterhaltung nicht zu kurz kommen.
Regina S. (54) aus Dresden hingegen zeigt stärkeres Interesse an Kunst und Kultur. Die Diplom-Geologin kombiniert eine liberale Grundhaltung mit kritischer Weltsicht und dem Ziel der Selbstentfaltung, typisch für das liberal-intellektuelle Milieu.
Wir wollen sie bei Ihrem Urlaub ein wenig begleiten. Nach der Südamerika-Rundreise im Vorjahr verbringt sie ihren Frühjahrsurlaub dieses Mal im sächsischen Vogtland. Ihre Vorfahren kommen alle aus dem Örtchen Liebenstein, heute Líba, zwischen Hohenberg an der Eger und Franzensbad. Wenn sich Regina und ihr Lebensabschnittsgefährte Rainer auf Spurensuche begeben, und hier nehmen wir eine Quintessenz dieses kleinen Gedankenspiels voraus, machen sie keinen Unterschied, auf welcher Seite der Landesgrenze, in welchem bayrischen Regierungsbezirk oder in welchem Bundesland sie sich befinden. Überall laden sie Museen, Gedenkstätten und Veranstaltungen zur Reise in die Vergangenheit ein. Außer montags – versteht sich – da haben grenzübergreifend die meisten Museen geschlossen. Eine rühmliche Ausnahme bildet die Burg Loket (Elbogen) zwischen Sokolov und Karlsbad. Rainers Augen glänzen beim Betrachten des dort ausgestellten Porzellans, denn das ist sein Lieblingsthema. Ein Besuch in beiden Standorten des Porzellanikons, des Staatlichen Museums für Porzellan, in Hohenberg und Selb ist also gleich am Dienstag Pflicht. Die Grube Tannenberg, ein Schaubergwerk mit über 600 Meter langem Stollen, in dem seit dem 15. Jahrhundert Eisenerz abgebaut wurde, muss auch besucht werden.Schließlich ist man vom Fach.
Und so ist die erste Hälfte des Urlaubs schon fast rum, als sich Regina und Rainer an das Thema historisches Egerland, Alltag, Flucht und Vertreibung wagen. Das Egerlandmuseum in Marktredwitz ist die zentrale Institution in der Region. Es inszeniert eine typische Bauernstube – auf dem Gut Miltigau/Milíkov, einer Zweigstelle des Museums Cheb, kann ein ganzer Bauernhof besichtigt werden- und stellt die böhmischen Kurstädte und das Badewesen vor – ebenso das Sächsische Bademuseum in Bad Elster und das Stadtmuseum Franzensbad.
Es folgt eine Ausstellung zum Thema Vertreibung seit 1945. Das Jahr 1938 allerdings findet im Egerlandmuseum keine Erwähnung. Das Zusammenleben und die Konflikte vor und nach 1938 sind zentraler Bestandteil der neuen Ausstellung in Plesná (Fleißen) nahe Bad Brambach. Sie entstand in einem grenzüberschreitenden Projekt mit der Stadt Erbendorf: Das Museum Flucht – Vertreibung – Ankommen nimmt die Stadtgeschichte aber auch die Gegenwart mit der Perspektive von Flucht und Migration in den Blick. Im Museum Bayrisches Vogtland verbringen Regina und Rainer viel Zeit in der Abteilung Flüchtlinge und Vertriebene in Hof. Seit 2012 untersucht sie die Geschichte des Ankommens und der Integration der Vertriebenen in der Region und darüber hinaus in all ihren Facetten. Die Grenzlandheimatstuben im Dachgeschoss eines alten Egerländer Fachwerkhofs in Bad Neualbenreuth stapeln Relikte und Erinnerungsstücke an die alte Heimat auf und wirken wie aus der Zeit gefallen. Sie werden deshalb gerade neu überarbeitet.
Und in Sachsen? Im Stadtmuseum Auerbach widmet sich eine Dauerausstellung dem Schicksal der Heimatvertrieben im sächsischen Vogtland. Auf Schloss Voigtsberg in Oelsnitz, erfahren die beiden, wird eine Ausstellung zur Rolle des Schlosses als Ankunftsort für die „Aussiedler“ für nächstes Jahr vorbereitert. Die Auswahl ist groß, doch die Perspektiven sind sehr verschieden, stellen Regina und Rainer und auch wir in einer zweiten Schlussfolgerung fest. Die Detektive der Vergangenheit, die fiktiven Idealtypen wie die realen, finden in dieser spannenden Region, im Dreiländereck Bayern-Sachsen-Tschechien nicht nur unzählige Spuren und Relikte der Geschichte, sie geraten auch ins Spannungsfeld des Umgangs mit ihr. Und jene, die „Museum machen“, die Mitarbeitenden, Leiter/innen und Förderer dieser reichhaltigen Museumslandschaft? Sie sind keine Idealtypen, keine Personas. Sie sind Erben, Gestalter und Vermittler. Sie bringen die verschiedensten Perspektiven und Erfahrungen zur gemeinsamen Geschichte ein und tauschen sich darüber aus – auf vier Vernetzungstreffen im Frühjahr 2024, unterstützt vom Projekt Ein Jahr an der Grenze. Aber dazu später mehr!
Das Pfarrhaus in Zöblitz, einem der 14 Ortsteile von Marienberg (Mittleres Erzgebirge), ist von außen eher unscheinbar. Kaum jemand weiß, dass es sich einmal im Monat in einen grenzüberschreitenden Begegnungsort verwandelt. An einem vorneweg festgelegten Samstag treffen sich nun immer mehr Leute aus dem Grenzgebiet in einem sogenannten Deutsch-tschechischen Café, um zwei schöne Vormittagsstunden miteinander zu verbringen. Dabei geht es weniger um Sprachkenntnisse, vielmehr ist es wichtig, Interesse für das Nachbarland und deren Kultur mitzubringen.
Dolmetscher gibt es schließlich genug – Wolfram alias Bohumil Rohloff, ein vielseitig interessierter evangelischer Pfarrer, der den damals noch ‚Tschechischen Kreis‘ gegründet hat, freut sich über jede Gelegenheit, die Sprache des Nachbarn zu üben. Tschechisch hat er sich – wie viele andere Fremdsprachen – selbst beigebracht, und ist vielen tschechischen Cafégästen ein Vorbild. Fehler machen ist nicht schlimm, so lange man geduldige und interessierte Zuhörer hat – und das ist in dieser Runde der Fall. Wer möchte, kann sich zum gemeinsam im Vorfeld ausgewählten Thema zu Hause vorbereiten – die meisten jedoch, machen spontan mit und freuen sich mittlerweile auch auf das ‚Kaffeetrinken‘, denn es finden sich immer fleißige Hände, die ihre kulinarischen Künste zum besten geben möchten.
Über die WhatsApp-Gruppe, die zum Deutsch-tschechischen Café gegründet wurde, kann man gemeinsam über die nächsten Termine des Cafés abstimmen, aber auch die eine oder andere interessante Veranstaltung im Grenzgebiet bewerben. Wie man zum Glauben und der Kirche steht, spielt dabei keine Rolle – miteinander ins Gespräch zu kommen ist das, was zählt. Und es wäre nicht nur dem Erzgebirge zu wünschen, dass sich neue Cafégäste und Nachahmer fänden…
Die deutsch-tschechische Grenzregion ist in den letzten zwei Jahren etwas lebendiger geworden als zuvor. Dank der Enthusiasten in unserem Programm „Ein Jahr an der Grenze“ haben dort Dutzende neuer deutsch-tschechischer Veranstaltungen stattgefunden. Unsere Macher haben uns gezeigt, dass das Potenzial der deutsch-tschechischen Grenzregion keine Grenzen kennt und es an neuen deutsch-tschechischen Geschichten nicht mangelt!
Liegt Ihnen die lebendige deutsch-tschechische Grenze am Herzen, wollen Sie die Menschen in Ihrer Umgebung verbinden und inspirieren und haben Sie Lust, sich ein Jahr lang voll darauf einzulassen? Jetzt haben Sie die einmalige Gelegenheit dazu! Wir starten nämlich den dritten Jahrgang unseres Programms „Ein Jahr an der Grenze“.
Mit diesem Programm möchte der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds auch weiterhin aktiv dazu beitragen, dass die Grenze zwischen beiden Ländern nicht als Barriere wahrgenommen wird, sondern als Raum, in dem sich neue Perspektiven, Möglichkeiten der Zusammenarbeit, Begegnungen und sogar Freundschaften eröffnen. Denjenigen, die gerne grenzüberschreitend aktiv sein möchten, dies aber bisher aus unterschiedlichsten Gründen nicht getan haben oder nicht tun konnten, möchten wir eine helfende Hand reichen und Inspiration bieten! Dafür suchen wir wieder motivierte, zweisprachige Enthusiasten aus der Grenzregion, die in den deutsch-tschechischen Grenzregionen unterwegs sind und dort durch persönliche Ideen- und Kontaktvermittlung sowie Beratung vor Ort zur Stärkung des deutsch-tschechischen Miteinanders beitragen.
Zur Mitwirkung an diesem Programm suchen wir
Enthusiasten und Macher (w/m/d)
aus der deutsch-tschechischen Grenzregion.
Dauer des Programms: Mai 2024 – April 2025
20 Stunden / Woche
Ziele des Programms:
Entdecken, Nutzen und Vertiefen der Potenziale für Begegnungen, Zusammenarbeit und Partnerschaft in der Grenzregion
Ansprechen und Zusammenbringen neuer Akteure aus Zivilgesellschaft, Vereinen, Gemeinden und Kirchen von beiden Seiten der Grenze
Inspirieren und Ermutigen zu neuen Wegen und Formaten der Begegnung
Unterstützen von gemeinsamen grenznahen Treffen und Projektvorhaben
Worauf Sie sich freuen können:
eine interessante und abwechslungsreiche Tätigkeit mit Raum für Kreativität und Weiterentwicklung
eigene Aktivitäten im Umfang 20h/Woche, Dauer 12 Monate
angemessene Bezahlung
interessante und inspirierende deutsch-tschechische Begegnungen
Mentoring und regelmäßige Evaluation
Übernahme von Telefon- und Fahrtkosten
Was Sie mitbringen sollten:
Enthusiasmus, Neugier und Lust, Menschen im Grenzgebiet zusammenzubringen
Interesse an deutsch-tschechischen Themen
Überblick über interessante (zivilgesellschaftliche) Aktivitäten im Grenzgebiet und gute Vernetzung
sehr gute Kommunikationsfähigkeit und offenes Auftreten
Wohnort in der deutsch-tschechischen Grenzregion
Führerschein Klasse B, eigener PKW sowie Bereitschaft zum Reisen
Wir freuen uns über alle Bewerberinnen und Bewerber, die sich mit Enthusiasmus und Neugier für eine lebendige deutsch-tschechische Grenzregion engagieren möchten. Vorerfahrungen in der deutsch-tschechischen Projekttätigkeit keine Bedingung.
Im Rahmen des Programms „Ein Jahr an der Grenze“ werden Sie nicht selbst Projektaktivitäten durchführen, sondern interessierte Akteure von beiden Seiten der Grenze inspirieren, zusammenbringen und bei gemeinsamen Aktivitäten unterstützen. Bitte legen Sie Ihren Bewerbungsunterlagen eine Skizze bei (max. 2 Seiten), in der Sie an zwei Beispielen beschreiben, wie Sie die potentiellen Akteure ausfindig machen und ansprechen würden.
Bitte schicken Sie alle erforderlichen Bewerbungsunterlagen (Motivationsschreiben, Skizze, Lebenslauf, Nachweis der Sprachkenntnisse) per Email bis zum 10.3.2024 an Frau Helena Vaňková (helena.vankova@fb.cz), die auch Ihre eventuellen Fragen gern beantwortet:
Ende Januar und Anfang Februar ist es mir gelungen, ganz unterschiedliche Akteure der regionalen Kultur miteinander in der Grenzregion zu vernetzen. Ich kann mich wirklich nicht darüber beklagen, dass mein Leben während des Programms „Ein Jahr an der Grenze“ nicht abwechslungsreich war und dass ich nicht ständig neue Dinge gelernt habe – zum Beispiel, wie man Schachregeln richtig interpretiert oder wie man eine Schachpartie idealerweise eröffnet. Aber dazu gleich mehr…
Ich freue mich sehr, dass wir zusammen mit der Leiterin der Bildungsabteilung der Stadtbibliothek in Děčín, Frau Miroslava Nedvědová, in die Stadtbibliothek im benachbarten Pirna eingeladen wurden. Die beiden Städte verbindet nicht nur die immer größer werdende Elbe im Norden, sondern auch aktive Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die sich für einen deutsch-tschechischen Austausch stark machen. Frau Viola Marzahn empfing uns zusammen mit ihrem Vorgesetzten, Herrn Schreiber, dem Leiter der Kultur und Tourismus GmbH, zu dem die Stadtbibliothek gehört. Wir wurden durch das sehr kunstvoll restaurierte historische Haus geführt, in dem die Bibliothek untergebracht ist, und zwar buchstäblich vom Keller, in dem angeblich manchmal das Leben im Mittelalter nachgespielt wird, bis zum Dachgeschoss, wo sich die Kinderabteilung für die jüngsten Leser befindet. Neben den Büchern bietet der gemütliche Raum auch alle anderen Medien, in denen Literatur heute verfügbar ist, aber auch in Form von Filmen, Musik oder Computerspielen, sowie eine Bibliothek der Dinge, in der man sich spielerische Hilfsmittel zur weiteren Vermittlung des geschriebenen Wortes ausleihen kann.
Unter anderem bewunderten wir mit Frau Nedvědová die moderne Selbstbedienungswand für die Rückgabe von Leihgaben, die jetzt in Pirna im Foyer steht.
Im festlichen gotischen Saal im Erdgeschoss stellten wir bei Kaffee und traditioneller sächsischer Eierschecke das Konzept und die Aktivitäten beider Bibliotheken im Bereich der Bildungskurse und Kulturveranstaltungen vor und diskutierten die Möglichkeiten einer künftigen Zusammenarbeit. Es stellte sich heraus, dass die beiden Bibliotheken in ihren jeweiligen Gemeinden leicht unterschiedliche Funktionen haben. Die Bibliothek in Pirna ist in erster Linie eine klassische Bibliothek, während die Bibliothek in Děčín, auch durch ihre Geschichte der Zusammenlegung mit dem Kulturzentrum, eine reine Kultur- und Gemeindezentrumsfunktion hat., Wir fanden aber ein gemeinsames Thema, mit dem wir beginnen konnten, nämlich eine literarische Lesung des Schriftstellers Mark Toman und seines Comic-Buches „Vertriebene Kinder“, das sowohl für Schulkinder als auch für ältere Kinder und Erwachsene geeignet ist. Zufälligerweise wird das Thema der Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg auch in der Ausstellung behandelt, die derzeit im Stadtmuseum Pirna vorbereitet wird, das direkt neben der Bibliothek liegt. Wenn alles gut geht, werden also dank der Zusammenarbeit der beiden Bibliotheken und des Museums die jetzige Bevölkerung und die Besucher von Pirna die Lebensgeschichten der vertriebenen Deutschen gleich aus mehreren Perspektiven erleben können, nicht nur aus der Kinderperspektive, auch wenn diese für viele neu sein dürfte.
Noch vor der eigentlichen deutsch-tschechischen Lesung, die im Mai dieses Jahres für einen Tag in Děčín und am Folgetag in Pirna stattfinden soll, was ein sinnvoller Schritt ist, um ein interessantes Programm auf beiden Seiten der Grenze zu teilen, ist nun der nächste Schritt der Gegenbesuch von Frau Marzahn und ihren Kollegen in Děčín.
Und in derselben Woche, in der ich in die Tätigkeit der Bibliotheken an der Elbe eingedrungen bin, fand ich mich nur wenige Tage später frühmorgens im nebligen Varnsdorf im Schluckenauer Vorland im Gebäude der ehemaligen Textilschule von 1882 wieder, die heute ebenfalls die Bibliothek, aber auch das Haus der Kinder und Jugendlichen beherbergt. Und dort versammelten sich schon um 8 Uhr morgens junge Schachspieler und ihre Eltern oder Großeltern in Autos mit deutschen Kennzeichen.
Zusammen mit dem TJ Slovan Varnsdorf luden wir unsere Kollegen vom SC 1994 Oberland e. V. aus Leutersdorf zu ihrem halbjährlichen Turnier ein und wir waren angenehm überrascht, dass die deutsche Gruppe recht groß war, obwohl gerade in Sachsen gar keine Ferien waren. Aber den deutschen Kindern hat das Turnier wohl umso mehr Spaß gemacht und sie belegten auch die ersten Plätze in der Kategorie der jüngeren Schüler.
Der Vorteil des Schachspiels ist, dass sich die Spieler immer ohne Worte verständigen und die Regeln international sind, so dass ein Tscheche und ein Deutscher, auch wenn sie sich direkt gegenüber sitzen, nicht in einer Fremdsprache kommunizieren müssen. Gleichzeitig gab es aber auch einen kleinen Sprachaustausch, vor allem, wenn die Schiedsrichter in strittigen Momenten hinzugezogen wurden oder in den Pausen zwischen den Runden, in denen sie einen Imbiss zu sich nahmen, gemeinsam übten und andere Gelegenheiten zum gemeinsamen Spiel planten. Der Trainer der Varnsdorfer Schachspieler, Herr Václav Halba, ist sehr aktiv und lebt für das Schachspiel und die Weitergabe seiner Fähigkeiten an die Jugend.
Und es scheint, dass er in Frank-Peter Rößler endlich einen Partner gefunden hat, mit dem er regelmäßig gemeinsame Turniere und Trainingslager organisieren kann. Varnsdorf verfügt über geeignete Räumlichkeiten sowie die Unterstützung des örtlichen Vereins, und Leutersdorf ist offen für weitere Kooperationen und organisiert auch Veranstaltungen wie die Schachwoche Mitte Februar, zu der die tschechischen Kollegen gleich eingeladen wurden. Abgesehen vom Schachspiel ist das offensichtliche Bindeglied jedoch der gemeinsame Sinn für Humor, selbst bei Missverständnissen, die bei der Kommunikation in einfachem Deutsch und Russisch leicht passieren können…
Ob Schachmatt, Patt oder Unentschieden, vor allem ist es eine ermutigende Lektüre für weitere Versuche der grenzüberschreitenden Vernetzung innerhalb des Programms „Ein Jahr an der Grenze“!
Würden Sie die Krippenfiguren mitnehmen, wenn Sie eine Reise machen würden, von der Sie vielleicht nicht zurückkehren? Die Mutter von Herrn Haidel hat das 1946 während der Vertreibung getan. Sie packte den vierjährigen Horst, seinen älteren Bruder und das Nötigste ein und legte achtzig Figuren aus der selbstgebauten Krippe in eine Kiste unter die Kleidung des Babys im Kinderwagen.
Gott weiß, warum sie diese Entscheidung getroffen hat. Vielleicht erinnerten die Figuren sie an ihren Mann, der noch irgendwo im Ausland weilte und im Jahr 1924, also vor genau einhundert Jahren, die erste gekauft hatte, vielleicht wollte sie die Erinnerung an ein gemeinsames Weihnachtsfest bewahren, das nie wieder „zu Hause“ stattfinden sollte.
Von Úterý/Neumarkt wurde die Familie Haidl in das Sammellager in Chodová Plané transportiert, dann nach Westen nach Wiesau und Tirschenreuth, wo Herr Horst Haidl den Rest seines Lebens verbrachte.
Ich treffe ihn im Museum in Tirschenreuth, wo gerade die jährliche Krippenausstellung läuft. Wir stehen direkt vor denen, die er selbst gebaut hat. Er hat 2005 mit dem Bau der großen Krippe begonnen und ab 2008 nach und nach Szenen hinzugefügt und weitere Figuren gekauft. Die Figuren in Herrn Haidls Krippe heißen „Grulicher Figuren“ und die Krippe selbst „Grulicher Krippe“. „Grulich“ war der deutsche Name für die Stadt Králíky am Fuße des Adlergebirges. Hier begann sich Ende des 18. Jahrhunderts die Krippentradition rasch zu entwickeln, ironischerweise dank des josephinischen Verbots von Krippen in Kirchen. Weil die Menschen nicht an der Krippe in der örtlichen Kirche Andacht halten konnten, holten sie dieses Symbol der christlichen Weihnacht in ihre Häuser hinein. Die Nachfrage nach den Figuren wuchs im 19. Jahrhundert so stark, dass die Herstellung von Krippen zu einem der gebräuchlichsten Handwerksberufe in Králice wurde. Die Figuren überschwemmten nicht nur die lokalen Märkte, sondern wurden auch als so genannte „Grulicher Mannln“ oder auch unter der Bezeichnung „echt Wiener Krippen“ in ganz Europa verbreitet. Die Tradition endete zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, aber die Figuren sind noch heute auf verschiedenen Internetauktionen und in Antiquitätengeschäften zu finden.
So bekam sie auch Herr Haidl, der heute wohl die größte Sammlung dieser Figuren im Landkreis Tirschenreuth besitzt. Vor dem Hintergrund all der Häuser, Schafe, Musikanten, der Heiligen Drei Könige und der Bergmannskapelle vor seinem Wohnhaus sticht das Bild der Kirche St. Johannes der Täufer am Dienstag hervor. Die Silhouette wurde von seinem Freund Erich Werner aus Chodau/Chodova gemalt.
Und so haben wir ein weiteres Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte geöffnet. Ob wir es nun wollen oder nicht, sie begleitet uns… oder zumindest diejenigen, die ihr zuhören wollen. Wir überschreiten die Grenzen auf beiden Seiten, um sie kennen zu lernen. Die ältere Generation noch mit einem Hauch von Bitterkeit, die jüngere Generation oft mit einem Sinn für und Lust auf Abenteuer.
Was passiert in diesem Jahr an der deutsch-tschechischen Grenze im Gebiet von Liberec (Reichenberg) und Horní Lužice (Oberlausitz), Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe) und dem Elbtal? Es ist eine ganze Menge los! Hier ein ganz kurzer Überblick…
Derzeit bin ich noch voller Eindrücke aus Zittau, wo sich die Leiter und Besucher*innen des Jugendcafés Café X des Deutschen Kinderschutzbundes und die Leiter und Klient*innen der niederschwelligen Einrichtung Wafle der Organisation Rodina v centru aus Nový Bor (Haida) zum ersten Mal trafen. Es war ein sehr freundliches Treffen mit einem gemeinsamen Tischfußball- und Tischtennisspiel, das ohne größere Hindernisse bei der Kommunikation und beim Austausch verlief. Das einzige Hindernis tauchte unerwartet kurz vor dem Treffen auf. Es lag in der leider noch ungewissen Existenz des Cafés für das nächste Jahr, eine völlig neue, unangenehme, wenn auch noch nicht hundertprozentig bestätigte Nachricht, die keine der Gruppen vor dem Treffenstermin kannte. Das Treffen fand dennoch in einer erwartungsvollen Atmosphäre statt und wir werden die begonnene Partnerschaft auf jeden Fall weiter ausbauen, sei es mit dem Jugendcafé X oder dem Offenen Treff, einem Raum für jüngere Jugendliche und Kinder in derselben Einrichtung. So oder so, ich drücke dem Café X beide Daumen!
Es folgte eine abenteuerliche und unerwartet anstrengende Reise durch die eiskalte Nacht von Zittau über Dresden nach Chemnitz und die Teilnahme am dortigen Deutsch-Tschechischen Regionalforum. Was ich daraus mitgenommen habe, ist u.a. die Bestätigung meiner Meinung, dass jede Grenzgemeinde und jede größere Institution einen ständigen Koordinator*in für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit braucht, der sich langfristig für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit einsetzt, damit gemeinsame Partnerschaften und Projekte nachhaltig sind. Es wurde auch vorgeschlagen, dass dies eine in der Gesetzgebung verankerte Verpflichtung für die Grenzgemeinden sein sollte, zumindest für einen vorübergehenden Zeitraum…
Am nächsten Tag in Chemnitz nutzte ich die Gelegenheit, mit der Plattform Kreativni.uk von Ústí nad Labem die zukünftige Kulturhauptstadt Europas zu besichtigen. Ich dachte an den Slogan „Chemnitz ist weder braun noch grau“, hinter dem sich die gleichnamige Initiative aktiver Bürger*innen verbirgt und die darauf hinweist, dass Chemnitz weder eine Stadt der (Neo)Nazis* oder Nationalist*innen ist, die durch die Farbe Braun symbolisiert werden, noch eine uninteressante graue postsozialistische Stadt mit rückläufiger Industrie. Und ich frage mich, ob so etwas auch Ústí nad Labem anstoßen könnte und ob Ústí in naher Zukunft Kulturhauptstadt Europas werden könnte? Bis jetzt scheint es wie ein Witz, aber paradoxerweise würde es Sinn machen.
Und dann ist da noch der wichtige erneute Besuch in Liberec, wo ich festgestellt habe, dass der Verein Tulipán, der sich auf die Hilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen konzentriert, mit einem sehr durchdachten und sinnvollen Konzept arbeitet. Seine Mitarbeiter*innen sind bestens vorbereitet und freuen sich auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Jetzt müssen sie nur noch eine Partnerorganisation auf deutscher Seite finden, was bisher in diesem Bereich aufgrund der Arbeitsbelastung der potenziellen Partner ein Problem war. Aber während der Destigmatisierungswoche mit dem Verein Tulipán hatte ich die Ehre, dabei zu helfen, den Weltrekord im massenhaften Zerplatzen von Plastikblasen zu brechen. Diese Blasen sind ein Symbol für die zerbrechliche menschliche Seele und werden ansonsten werden für die Verpackung von Produkten aus geschützten Werkstätten verwendet. Dieser symbolische Akt der Verbindung stimmte mich optimistisch…
Noch am gleichen Abend fand ich mich in einem Paralleluniversum in Liberec wieder, bei einem Weihnachts-Networking bei Lipo.ink, einem Liberecer Inkubator für vielversprechende Start-ups, wo das bereits 10. Treffen vom Verein „Frauen aus dem Norden“ organisiert wurde, der sich auf die Schaffung eines sicheren Raums für unternehmerisch aktive Frauen aus Nordböhmen, ihre Ausbildung und Emanzipation konzentriert. Den Frauen aus dem Norden wird nachgesagt, dass sie rauer, sportlicher und weniger gesellig sind als anderswo, aber der Verein konnte dieses Stereotyp erfolgreich überwinden und hat im vergangenen Jahr auch eine Zusammenarbeit mit der deutschen Initiative „Löbaulebt“ begonnen, die er gerne fortsetzen möchte. Alle bisherigen Teilnehmerinnen würden sich über gleichgesinnte Frauen aus Sachsen bei zukünftigen Treffen freuen.
Anfang November war für mich als Koordinatorin der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein Durchbruch in Sachen Vertrauen und Motivation, in dem ich an mehreren Veranstaltungen im Rahmen der Tage der tschechischen und deutschen Kultur teilnahm. Ein an sich etabliertes, für mich aber neu entdecktes Festival hat in diesem Jahr durch die Mithilfe der Stadthalle Hraničář in Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe) bei der Organisation auf tschechischer Seite und der Ausweitung des Programms auf kleinere Städte (außerhalb Dresdens tut sich immer mehr) einen neuen Atem bekommen zu haben. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, mehr Veranstaltungen abseits des Mainstreams zu besuchen, die sich auf communities und Begegnungen konzentrieren. Und obwohl ich anfangs Zweifel hatte, ob ich bei diesen Veranstaltungen nur Akteure treffen würde, die bereits über die Grenze hinweg miteinander verbunden sind, stellte ich fest, dass das Spektrum der „Dienstleistungen“, die wir im Rahmen des Jahres an der Grenze anbieten, nämlich die Kontaktaufnahme mit aktiven Bürgern und Vereinen im Grenzgebiet, die Vermittlung von Kontakten zu gleichgesinnten Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen sowie die Zusammenführung von Personen, die an einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit oder Partnerschaft interessiert sind, hier großen Anklang fand.
So ging ich eines Tages zur Deutschkonversation in den „Deutschklub mit Überraschung!“ in Litoměřice (Leitmeritz), wo nun schon im 7. Jahr das Motto gilt: „Da wir in Leitmeritz sind, sprechen wir natürlich Deutsch – und zwar so, wie es jeder vermag“ und um bei dieser Gelegenheit gemeinsam Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln. Leider war ich auf diesen Umstand nicht ganz vorbereitet und die Leiterin des Clubs, Hana Pavlištová, hätte mich fast nicht reingelassen. 😊 Aber zum Glück sah ich ein bekanntes Gesicht – die Mitorganisatorin des Abends und hartnäckige Organisatorin der Alternativkultur in Litoměřice Renata Vášová –sie sorgte nicht nur dafür, dass ich eingelassen wurde, sondern stellte mich auch gleich ihrer Kollegin Hanka Galiová vor. Hanka Galiová hat die Leitung ihres gemeinnützigen Vereins Kinoklub Ostrov übernommen, der nicht nur das Sommerkino von Litoměřice und den Filmclub betreibt, sondern auch jedes Jahr Ende August das renommierte Filmfestival organisiert. Und Hanka und ich begannen sofort, Pläne für grenzüberschreitende Aktivitäten zu schmieden, und zu uns gesellte sich eine sehr wichtige Person, sozusagen eine Kultfigur, nämlich Lenka Holíková vom Kulturzentrum Řehlovice. Ich traf beide im November bei einer Besichtigung des Sommerkinos auf der hiesigen Střelecký-Insel und der Gotischen Zwillingsgalerie im ältesten Haus in Litoměřice wieder. Es war sofort klar, dass die „Club“-Szene dort den deutschen Partnern, die ihnen zweifelsohne am Herzen liegen, viel zu bieten hat und dass das Networking Spaß machen würde.
Eine ähnliche Veranstaltung wie der Deutschklub, bei der die erwähnte „Überraschung“ eine großartige Verkostung sächsischer Weine aus den Weinbergen der Elbe-Region war (unter der hervorragenden fachlichen Anleitung der „Weinkönigin“, Frau Juliana Kremtz), stellte die deutsch-tschechische DŽEM-Session in Pirna dar. Es ist ein bereits traditioneller Wettbewerb um die beste Marmelade, Konfitüre oder das beste Fruchtpüree im Rhythmus des Jazz, der diesmal von einer Band aus Děčín (Tetschen) dageboten wurde. Abgesehen davon, dass ich wieder überrascht war, wie viele Leute sich mit ihren Kostproben an dem Wettbewerb beteiligten, war ich schon besser vorbereitet als beim letzten Mal. Ich hatte auch genügend Bargeld dabei, um auch eine der besten Marmeladen, natürlich Birne, zu versteigern, denn darin sind sie die Besten in Pirna und konnte damit einen Beitrag zur Initiative Pirna 800 leisten.
Die Initiative hat die Veranstaltung mitorganisiert und sich zum Ziel gesetzt, bis zur 800-Jahr-Feier der Stadt Pirna (wahrscheinlich bis 2033) 800 neue Bäume zu pflanzen. Abgesehen davon, dass ich mich über diese Initiative und die Möglichkeit, einen Beitrag dazu zu leisten, sehr gefreut habe, hat mich auch die Tatsache amüsiert, dass die Stadt Pirna eine Birne oder einen Birnbaum in ihrem Wappen führt, was sicher irgendwie mit der phonetischen Ähnlichkeit der beiden Wörter Pirna – Birne zusammenhängt. Aber ich musste wirklich lachen, als Helge Goldhahn, der Vater der Initiative Pirna 800, mir auf Tschechisch erzählte, dass er einen Teil seines Lebens in Brünn gelebt habe und man ihn nie richtig verstand, wenn er zu erklären versuchte, dass er nicht „aus Brünn“, sondern „aus Pirna“ sei… Und ich weiß jetzt nicht genau, wie das zusammenhängt, aber ich musste an Karel Gott und seinen gleichnamigen Schlager denken, als ich mich dem Restaurant Babička in Pirna näherte –seine Lieder und das gemeinsame deutsch-tschechische Musizieren standen tatsächlich an diesem Abend auf dem Programm. Natürlich werden bei der allgemeinen Heiterkeit auch Kontakte geknüpft, und wir konnten mit der Bildungsleiterin der Stadtbibliothek Děčín, Frau Mirka Nedvědová, die auch die diesjährige DŽEM-Sitzung mitorganisiert hat, ernsthafte Pläne entwickeln, wie wir beim Organisieren der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei deutsch-tschechischen Literaturabenden, Kunstworkshops und Ausstellungen, beim deutsch-tschechischem Theater, Vorträgen über die deutsche Geschichte der nordböhmischen Region, Erfahrungsaustauschen über die Nutzung ehemaliger Industriegebäude und das Funktionieren von Bürgerinitiativen usw. mithelfen könnten. Bibliotheken sind neue Kultur- und Gemeinschaftszentren, und es wäre schade, wenn ihr gegenwärtiger Aufschwung keine Unterstützung finden würde. Es ist zu hoffen, dass zumindest einige der Pläne bis zum Ende des aktuellen Jahrgangs von Ein Jahr an der Grenze verwirklicht werden können.
Ende November und Anfang Dezember findet in Chemnitz unter der Schirmherrschaft des Bundesaußenministeriums das erste deutsch-tschechische Regionalforum statt. Eingeladen sind nicht nur Vertreter verschiedener Institutionen, sondern auch die breite Zivilgesellschaft. Es geht also los.
Für Ein Jahr an der Grenze und für mich selbst. Ziel ist es, Akteure von beiden Seiten der Grenze zusammenzubringen, mit besonderem Augenmerk auf die Probleme und Gelegenheiten der Grenzregionen. Sie sind, wie es in der Pressemitteilung heißt, „die Treffpunkte Europas und eine der Säulen des Zusammenhalts in der Europäischen Union.
Wenn es hier hakt, gerät der Motor der europäischen Integration ins Schleudern.“ Aber bisher läuft alles reibungslos, ich sitze im Morgenzug nach Cheb (Eger), von dort plane ich, in Hof umzusteigen und in viereinhalb Stunden in Chemnitz-Siegmar auszusteigen. Ich trinke Tee und schaue aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Schneelandschaft. Im Zug nach Hof lese ich Winterbergs letzte Reise von Jaroslav Rudiš, und bald beginnen Realität und Fiktion zu verschmelzen. Winterberg fährt nach Sadová (Sadowa), ich an die Grenze, rohe Felder, Wälder, winterliche Frühnebel. „Die Reisenden nach Aš (Asch) steigen in Hazlov (Haslau) um“, wird plötzlich mit heiserer Stimme gesagt. Wie nach Aš? Ich fahre nach Hof! Ich kehre schnell in die Realität zurück. Der Schaffner erklärt brüsk, dass die Deutschen keine „Maschinen“ haben und dass sie nicht wissen, wann sie sie haben werden, vielleicht am Nachmittag, vielleicht morgen… „In zwei Stunden fahren wir zurück nach Cheb, gnädige Frau, mehr werde ich Ihnen jetzt nicht sagen“, fügt der Schaffner hinzu. Nun gut. Ich steige an der Haltestelle Aš – Stadt aus. Kein Mensch weit und breit, überall ist es kalt. Die Deutschen geben sich hier keine Mühe mit dem Busersatzverkehr.
Es stellt sich heraus, dass ich der Einzige im Zug nach Deutschland bin. Ich sehe mich erfolglos nach einem Bahnhof um, in dem es wenigstens einen Kaffeeautomaten gibt, aber Aš scheint heute das Ende der Welt zu sein. Das Bahnhofsgebäude im Brüsseler Stil, entworfen vom Architekten Dandy, wie ich später erfahre, wurde Anfang des Jahres abgerissen, weil es für die Strecke überdimensioniert und längst baufällig war. Doch vorher war er lebendig! Der ursprüngliche, großzügige Bahnhof wurde1865 von den Bayerischen Ostbahnen eröffnet, zusammen mit der Strecke von Selb nach Cheb, wo später die Linie hinführte, die den nordwestlichen Außenposten Österreich-Ungarns mit Wien, Pilsen und České Budějovice (Böhmisch Budweis) verband. Vielleicht ein Bus? Wir sind nur noch einen Kilometer von der Grenze entfernt! Nein, erklärt mir der ČSAD-Busfahrer, der gerade zu Mittag isst, dass sein Unternehmen diese Strecke gar nicht bedient.
Mir ist kalt, also suche ich nach einem Café oder einem Ort zum Aufwärmen. Was würde Winterberg tun? Er würde sicher nicht zurückkommen! Ich versuche, mir einen Plan B auszudenken.
So fahre ich mit demselben Schaffner, der immer noch nichts weiß, von Cheb nach Marktredwitz, nach Zwickau und reibungslos nach Chemnitz zurück und denke an den Freiheitszug von 1951, der sich gar nicht um Aš kümmerte und mit der ahnungslosen Mehrheit der Fahrgäste einfach durch den Bahnhof von Aš nach Westdeutschland fuhr.
Die Konferenz ist noch in vollem Gange. Auf dem Podium wechseln sich einflussreiche Persönlichkeiten ab, allgemeine Phrasen über die besten deutsch-tschechischen Beziehungen der letzten Zeit werden gelegentlich von einer konkreten Bemerkung über die Realität der Grenzbeziehungen unterbrochen. Ich taue auf. Es folgen Workshops. Die Themen drehen sich um Pendler, den Arbeitsmarkt und Bahnverbindungen. Natürlich beziehe ich meine morgendliche Geschichte mit ein. Ich interessiere mich außerdem für die Verbindung des IRS (integriertes Rettungssystem) entlang der Grenze zu Bayern, wo das Projekt Babylon seit über einem Jahr in der Region Karlovy Vary (Karlsbad) und in Oberpfalz in Betrieb ist, wo der Krankenwagen, der am nächsten an der Grenze ist, zum Verletzten fährt, unabhängig von der Grenze. Das System kann die erhaltenen Informationen über die Situation in beide Sprachen übersetzen. Das ist großartig. Ich hoffe, dass sich das System auch auf den Rest der Grenzregion ausbreitet.
Am Freitagmittag verabschiede ich mich von Chemnitz. Sorglos steige ich in den Zug, ein weiteres Kapitel von Winterberg. Aber wir warten schon lange in Hof. Mein ungutes Gefühl bestätigt sich. In diesen Tagen über die Grenze zu kommen, ist fast eine übermenschliche Aufgabe. Der Deutsche behauptet, dass der Tscheche, mit dem er sich diese Strecke teilt, nicht angekommen ist und vertreibt uns aus dem Zug. Weitere Informationen sind nicht zu erhalten. Keiner hat sie. Das Problem liegt jetzt auf der tschechischen Seite. Revanche? Die DB-Auskunft gibt vor, zum ersten Mal von dem Ausfall zu hören, obwohl ich von einem Mitreisenden erfahre, dass es keinen Mittagszug gab, und empfiehlt den – mir schon bekannten – Umweg über Marktredwitz. Mir ist kalt. Wir warten zwei Stunden lang. Ich spreche mit Peter, der über die Grenze fährt, um zu arbeiten – seit einem Jahr, von Montag bis Freitag. Er spricht kein Deutsch, aber er sagt, dass er gut verdient. Aber seine deutschen Kollegen bekommen 6 Euro mehr pro Stunde für die gleiche Arbeit. Wenn man sich darüber beschwert, geht man. Peter beklagt sich nicht, er hat seine Schulden abbezahlt, er und seine Frau sind letztes Jahr zum ersten Mal ans Meer gefahren. Wie lange diese Beziehung halten wird, weiß er nicht.
Die Realität. Ich steige abends in Planá (Plan) aus und kratze an der gefrorenen Windschutzscheibe des Autos, das mich endlich ins Warme bringt.
Am Montag, den 23. Oktober 2023, versammelten sich acht Frauen im MuseumsQuartier in Tirschenreuth und dass wegen einem einzigen Mann. Einem Mann, der zwar bereits vor 250 Jahren in Tirschenreuth geboren wurde, dessen Vermächtnis aber immer noch lebendig ist, und das nicht nur auf der deutschen Seite der Grenze.
Maurus Fuchs (1771-1848) ist der Autor zahlreicher Kirchengemälde und Fresken in der Region Tachov und in der Oberpfalz. Er war ein Maler, der sich in seiner Zeit ganz selbstverständlich zwischen den beiden Regionen bewegte und sogar seine größten Werke in Böhmen schuf (Kloster Teplá und Tachov).
Fuchs ist dadurch das Bindeglied zwischen unserer künftigen tschechisch-deutschen Kooperation der Hroznat-Akademie des Klosters Teplá und dem Museum in Tirschenreuth. Bei den Treffen wird nun ein Programm entwickelt, um Schulen oder Senioren ein Programm über diesen bedeutenden heimischen Maler und seine Zeit anzubieten, sein umfangreiches Werk in Teplá spielerisch vorzustellen und seine Papierkrippe kreativ zu präsentieren.
Die Krippe ist heute im MuseumsQuartier zu sehen. Sie ist nach 1830 entstanden, wurde aber erst in den 1970er Jahren in einem Schuhkarton auf dem Dachboden eines Stadthauses wiederentdeckt. Obwohl es nicht signiert ist, ist klar, dass es sich um ein Werk von Fuchs handelt, allein schon deshalb, weil mehrere der Krippenfiguren in identischer Form im Kloster in Teplá abgebildet sind.
Und das ist nur einer der spannenden Momente in dieser Geschichte. Ich hoffe, dass unsere gemischte Gruppe es schaffen wird, die Geschichte rekonstruieren und im nächsten Jahr der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Dreiländereck ist ein verlockender Ausdruck. Das klingt nach Zusammenkunft, spannenden Geschichten und Perspektivenvielfalt. Das haben auch die Politiker und Tourismusexperten gemerkt und werben für ihre Regionen: 15 solche Stellen gibt es zwischen den deutschen Bundesländern, weitere natürlich an den Außengrenzen der BRD, so im Westen mit Frankreich und Luxemburg bzw. der Schweiz. Wo sich im Osten die Oberlausitz, Schlesien und Böhmen begegnen, im Rayon meiner Projektkollegin Veronika Kyrianová, trafen immer auch Staaten aufeinander: Einst Sachsen, Preußen und Österreich – heute Deutschland, Polen und Tschechien.
„Meine Region“ Oberfranken, das sächsische Vogtland und der Karlsbader Bezirk ist also kein Dreiländereck im staatlichen Sinne mehr. Seit der Wiedervereinigung 1990 „trennt“ Bayern und Sachsen nur eine Landesgrenze. Bemühungen, auf beiden Seiten dieser Linie, das zu ändern, sind zu vernachlässigen. Böhmen, und damit die Staatsgrenze zu Tschechien, läuft nicht an den beiden Bundesländern entlang. Wie ein Keil schiebt sich das „Ascher Ländchen“ zwischen sie. An seiner Spitze, unweit des Städtchens Hranice/Roßbach treffen sie endlich aufeinander. Eine Landschaft, in der ich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen und doch atmet sie Geschichte.
Dort stehen noch die einstigen Wachtürme wie Fremdkörper auf den satten Wiesen und erinnern daran, dass hier 40 Jahre lang eine doppelte Systemgrenze aufeinandertraf -zwischen den beiden deutschen Staaten aber auch der Bundesrepublik und der sozialistischen Tschechoslowakei. Wenn die Kinder in Gürth bei Bad Elster beim Spielen zu weit in den Wald liefen, gerieten sie auf Staatsgebiet der ČSSR. Nicht lebensgefährlich wie am „Eisernen Vorhang“, aber Ärger gab es doch, wie sich Zeitzeugen erinnern.
Heute sind diese Grenzen nicht mehr zu spüren. Wer aus dem vogtländischen Oberland (dem sogeannten Musikwinkel – dazu in einem späteren Blog mehr) nach Selb will, fährt selbstverständlich durch Asch. Aus der anderen Richtung – zum Konzert oder zur Kur nach Bad Elster ebenso. Zur Arbeit, zur Einkauf, Abendessen mit Knödeln oder auf Wandertour, der Wechsel zwischen den drei „Ländern“ ist hier alltäglich.
Die Zeitgeschichte – Geschichte, die noch qualmt (B. Tuchman) – hat freilich auch hier ihre Spuren hinterlassen. Den einst staatlich getrennten aber spachlich einheitlichen Raum (gemeint ist Deutschland und Tschechien – im Vogtland spricht man kein Sächsisch) trennt heute eine Sprachgrenze. Und das ist gut so! Es ist Anlass zu Neugier und Staunen, etwa wenn bei Bayrisch-Tschechischen Stammtisch in Cheb auf Tschechisch bestellt wird. Wenn alte deutsche Inschriften mit Hilfe deutscher Enthusiasten entziffert werden. Wenn man „aus deutscher Seite“ mit leichtem Akzent aber in beindruckendem Deutsch im Laden bedient wird. Es ist Gelegenheit und Anregung zum Ausstausch und Zusammentreffen. Es ist mein Job dabei zu helfen und die Geschichten zu erzählen. Deshalb: Später mehr!
Für die deutsch-tschechischen Beziehungen interessiere mich seitdem ich am Gymnasium war. Ein Jahr vor meinem Abitur nahm ich am Projekt Gastschuljahr des EUREGIOs Bayerischer Wald – Böhmerwald – Unterer Inn teil und verbrachte fast ein ganzes Schuljahr am Comenius Gymnasium in Deggendorf. Diese Erfahrung wurde zu einem wichtigen Meilenstein in meinem weiteren beruflichen Leben. Zuerst wurde ich dadurch bei der Studiengangwahl beeinflusst. Die Deutsch-tschechischen Studien, die ich teils an der Karlsuniversität in Prag und teils an der Universität Regensburg absolviert habe, boten mir den Einblick in die deutsch-tschechischen Beziehungen in Theorie und Praxis. Seitdem ist das Thema in meinem Leben ständig präsent.
Bereits während meines Studiums fühlte ich mich von regionalen Projekten und Partnerschaften sehr angesprochen. Es liegt wahrscheinlich daran, dass ich in einer Grenzregion geboren bin und zur Zeit dort auch lebe – in der malerischen Stadt Sušice.
Zahlreiche Einwohner dieser Region sind immer noch von den Geschichten ihrer Vorfahrten über den Zweiten Weltkrieg beeinflusst, genauso wie auf der deutschen Seite das Thema der Vertreibung immer wieder aufgegriffen wird. Deswegen ist es wichtig, die Kontaktknüpfung zwischen Leuten von beiden Seiten der Grenze zu unterstützen, dass sie mögliche Stereotype überwinden und neue Freundschaften schließen können.
mein „Revier“
Und darum genau geht’s im Projekt Ein Jahr an der Grenze, in dem ich seit September dieses Jahres tätig bin. Ich habe vor, teilweise an die Arbeit meiner Vorgänger*Innen anzuknüpfen, und gleichzeitig habe ich viele eigenen Ideen für potenzielle zukünftige Partnerschaften. Vor allem möchte ich meine Zeit und Energie solchen Vereinen und Organisationen widmen, die sich mit Böhmerwald zusammenhängenden Tätigkeiten beschäftigen – z. B. mit traditionellem Handwerk, Ausflügen in die Natur, Skifahren usw. Ich freue mich sehr, dass ich in diesem Projekt mitwirken darf und hoffe, dass ich Vieles beitragen kann. 😊
Es sind schon ein paar Tage vergangen seitdem wir uns – alle vom aktuellen Jahr an der Grenze – getroffen haben, diesmal in den Räumlichkeiten des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds in Prag. Es hat sich gezeigt, dass die Macherinnen und Macher bereits einige Höhen und Tiefen hinter sich haben. Als Koordinatorin kann ich diese Momente sehr gut nachvollziehen, im ersten Jahrgang war es ähnlich, da im Sommer viele Leute im Urlaub waren und die Sommermonate immer eine Zeit sind, wo alles nur sehr mühsam vorangeht. Mit dem Septemberanfang hat sich das dann rapide verändert und es läuft jetzt wieder (gut). Wie Steffen sagte: „Manchmal reicht es schon, wenn man über alles reden kann und schon ändert sich die Lage zum Besseren.“
In den letzten Wochen habe ich meine Rolle als Koordinatorin des ganzen Teams aktiv angegangen und habe versucht, alle Macherinnen und Macher zu unterstützen, was mitunter schon anstrengend und kraftraubend ist. Die dafür nötige Energie habe ich mir im deutsch-tschechischen Grenzraum geholt, z.B. wenn ich in den Wäldern und Ortschaften des Böhmerwalds, im Bayerischen Wald und auch Erzgebirge unterwegs war.
Da das Deutsch-Tschechische untrennbar mit meinem Leben verbunden ist, konnte ich auch in der Freizeit mein Zivilengagement nicht einfach zur Seite legen. Bei verschiedenen Begegnungen habe ich meine beruflichen und ehrenamtlichen Erfahrungen und Aktivitäten immer mit einfließen lassen und dabei auch potenzielle Kontakte für die Macherinnen und Macher gesammelt. Wer weiß, vielleicht entstehen daraus neue Partnerschaften, Austausch oder einfach „nur“ Begegnungen.
Nach Prag bin ich mit einem bangen Gefühl gefahren – wie wird unser Treffen gelingen? Es gibt immer mindestens zwei Perspektiven – entweder man konzentriert sich mehr auf die Probleme im Sommer oder man schaut mit positiver Erwartung auf die Aufgaben der nächsten Wochen.
Als die Macherinnen und Macher dann aber ihre aktuellen Erfolge bei der Kontaktaufnahme der letzten Wochen vorstellten, war wieder eine große Begeisterung und positive Stimmung zu spüren! So viel Energie in einem Raum! Das sind für mich die Momente, wo mir das Herz aufgeht und ich mich wieder davon überzeuge, dass sich die ganze Mühe wirklich lohnt.
Und dies brauche ich auch, gerade jetzt, wo wir die Wahlergebnisse in Deutschland sehen. Die deutsch-tschechische Arbeit ist auch Arbeit im politischen Alltag und wir alle müssen den „Schritt über die Grenze wagen“, damit wir unsere Demokratie und Freiheit bewahren können. Mit diesen Worten hat es die Geschäftsführerin Petra Ernstberger beim Treffen beschreiben. Und das können wir nur mit Offenheit und Engagement schaffen. Und zwar nicht nur die Macherinnen und Macher, sondern alle, die Lust haben sich zu engagieren.
Als ich meine Umgebung zum Festival der guten Laune einlud, konnte kaum jemand etwas damit anfagen. Vielleicht war auch das ein Teil des Erfolges – denn es sind diejenigen gekommen, die sich gerne überraschen lassen, offen für Neues sind und vor allem die, die für das Deutsch-Tschechische, das an diesem wunderbaren Wochenende in Kovářská beispielhaft gelebt wurde, vieles übrig haben.
Das erste große Projekt von Klára Mikšíčková kam sehr gut an: zahlreiche Menschen aus Tschechien und Sachsen sind angereist, um Krušnohorský Poutník kennenzulernen – eine ehemalige Fabrik für die Herstellung von Fischkonserven, die Dank Petr und seinem Verein DoKrajin in erstaunlich kurzer Zeit zu einer geräumigen Begegnungsstätte samt Atelier für Mediale Projekte verwandelt wurde.
Während sich die Kinder draußen im Grünen mit Schnitzen von Holzlöffeln oder Gestalten von niedlichen Robotchen ausprobiert haben, konnten ihre Eltern in Ruhe an Workshops teilnehmen, die eines gemeinsam hatten: zur guten Laune und inneren Frieden der Besucher beizutragen – und das in einer herzlichen, freundlichen und entspannten Atmosphäre, die man unter Fremden selten so schnell spürt.
Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung.
Mögen solche Projekte eine Inspiration für viele sein – das Erzgebirge braucht sie!
Als ich im Frühjahr erfuhr, dass ich für das Team der Enthusiasten und Macher/innen im Jahr an der Grenze ausgewählt wurde, konnte ich es erst kaum glauben. Es folgte große Freude, kleinere Bedenken, ob ich das wirklich schaffe, aber vor allem Vorfreude und Neugier auf die neuen Erlebnisse und Erfahrungen.
Ich ahnte schon, dass es Abenteuer werden würde, aber die Wirklichkeit übertraf alle meine Erwartungen. Nachdem ich mich durch die Tabellen und Berichte vom ersten Jahrgang und eine Menge neuer Infos durchgebissen und die anfängliche Befangenheit überwunden hatte, wuchs ich in meine neue Rolle hinein.
Ich zögere jetzt nicht mehr, wie ich mich am Telefon vorstelle, wie ich die erste Mail formulieren soll, das alles läuft schon irgendwie von selbst. Übrigens hat es sich als beste Art und Weise neue Kontakte anzuknüpfen bewährt, zum Telefon zu greifen und ein kurzes informelles Gespräch zu führen. Da merkt man meist in kürzester Zeit, woran man ist, kann auf den Kommunikationspartner reagieren, Fragen stellen und auch beantworten, manchmal auch ein bisschen Witze machen. Kurz gesagt, ich finde praktischer als umschweifiges E-Mail-Formulieren. Auch wenn sich so ein erstes Telefonat auch schonmal auf eine Dreiviertelstunde ausdehnen kann.
Manchmal stoße ich natürlich auch auf weniger enthusiastische Reaktionen. „Wir haben andere Sorgen (in der Gemeinde, in der Abteilung, im Verein), hier gibt es keine engagierten Menschen, niemand spricht Deutsch, wir kommen gar nicht hinterher, ich bin allein für alles da, mir fehlen die Mitstreiter …“ u.ä. Manchmal sind die Gründe verständlich, manchmal weniger. Damit muss man rechnen, wirklich schade ist daran die Tatsache, dass irgendwo auf der anderen Seite der Grenze jemand Motiviertes darauf wartet, dass ich den richtigen Partner für ihn finde.
Die deutsch-tschechischen Beziehungen sind mir eine Herzenssache und ich bin überzeugt, dass es gerade BEZIEHUNGEN und FREUNDSCHAFTEN sind, worum es uns im Jahr an der Grenze vor allem geht. Deshalb bin ich auch wenig begeistert von einigen scheinmotivierten Leuten, bei deren Interesse an der grenzübergreifenden Zusammenarbeit es mehr um Selbstdarstellung oder das Einwerben finanzieller Mittel zu gehen scheint als um Freundschaft.
Umso wunderbarer ist dann das Gefühl mit Leuten zu sprechen und sich zu treffen, die wirklich begeistert sind. Und von denen gibt es ganz schön viele.
Letzte Woche hatte ich die Möglichkeit gleich drei solche Menschen auf einmal zu treffen. In der schönen Umgebung des Berghof Gibacht war ich mit dem energischen Journalisten Karl Reitmeier verabredet, der bei keiner gesellschaftlichen oder kulturellen Begebenheit in der Region auf beiden Seiten der Grenze fehlen darf, der alle kennt und den alle kennen und der sich schon seit der Revolution in wesentlich für die Verbesserung der deutsch-tschechischen Beziehungen einsetzt. Kurz gesagt, wenn Sie wissen wollen, was in der Umgebung von Domážlice Interessantes los ist, fragen Sie Karl!
Er wollte gemeinsam mit Josef Altmann nach Gibacht kommen, seinem Freund und Kollege aus dem Verein Gäste- und Kulturführer Bayerwald e.V. Der hat in den vergangenen knapp 30 Jahren hunderte von Wander-Ausflügen, Erkundungsgängen und Fahrradtouren im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet organisiert und sich sehr um die Zusammenarbeit zwischen seinem Heimatort Eschlkam und den nahegelegenen tschechischen Gemeinden Kdyně und Všeruby verdient gemacht.
Für mich unerwartet kam zu dem Treffen mit Karl und Josef sozusagen als dritter Musketier auch noch Herbert Pöhnl dazu, Fotograf aus Viechtach. Das war eine schöne Überraschung, weil ich Herrn Pöhnl schon von früher her ein bisschen kenne und mir sein Projekt Begegnungen – Setkávání sehr gefällt, in dessen Rahmen er versucht, das Leben der Menschen im Grenzgebiet künstlerisch einzufangen und das Interesse der Deutschen an der Tschechischen Republik fördern.
Diese drei Herren sprühen trotz ihres fortgeschritteneren Alters nur so vor Energie, Optimismus, Ideen und Lust zu grenzübergreifenden Aktivitäten. Ich denke, dass sie damit vielen jüngeren Leute ein Vorbild sein können.
Einfach nur völlig großartige Menschen!
Ich empfinde große Dankbarkeit und Freude, dass ich sie kennenlernen durfte. Und freue mich sehr auf alle gemeinsamen Aktivitäten.
Vielleicht bin ich sentimental, aber allein heute war ich gleich zweimal sehr bewegt – zum ersten Mal beim Schauen des Kurzfilms Gemeinsam sind wir stärker“, der das Ergebnis eines Schulprojekts im Rahmen des Themas des Jahres 2023 war. https://www.fondbudoucnosti.cz/projekt-mesice-cervna-2023/
Und zum zweiten Mal als ich die schöne persönliche Widmung von Josef Altmann las, die mir der Autor bei unserem heutigen Treffen in sein Buch „Hinüber und Herüber“ hineingeschrieben hat.
Schon jetzt weiß ich, dass für mich mit dem Ende meines „Jahres an der Grenze“ ganz sicher nicht Schluss ist, es wird eher ein Anfang sein. Das, was mich bis vor kurzem nur interessiert und verlockt hat, umgibt mich plötzlich von allen Seiten. Kurz: Mich hat es total erwischt!
„Za cestu dáš kilo, když se vrátíš dvě, dobře ti tam bylo, sejdeme se v Berlíně“ – „Die Reise kostet n Tausender, die Rückfahrt zwei, dort war es prima, wir treffen uns in Berlin“ … Zur Einführung diesmal mein Lieblingslied von der tschechischen Punkgruppe Garáž, denn in diesem Beitrag soll es darum gehen, wer denn da alles am Freitag den 8.9. und Samstag den 9.9. in Berlin in den Gärten des Präsidentenpalastes zusammengekommen ist.
Und wir waren wirklich viele! Ich brauche wohl zu nicht daran erinnern, dass der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds sein 25. Gründungsjubiläum feiert und dafür eine Einladung zum Bürgerfest des Bundespräsidenten erhalten hatte. Und nicht nur das, er konnte sogar in großem Maße das Programm bestimmen, so dass ein nicht unwesentlicher Teil der Workshops und Stände von Organisationen stammte, die aktiv an der Gestaltung der deutsch-tschechischen Beziehungen mitarbeiten und auf den Haupt- und Nebenbühnen die Crème der tschechischen Kulturszene anzutreffen war. Das gesamte Programm der Feierlichkeiten der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit, mitsamt der Entsendung des Kultur-Zuges, im Detail auf den Web- und Facebook-Seiten des Fonds zu finden.
„Gemeinsam wind wir stärker“ lautete das Hauptmotto der Feierlichkeiten und das war auch der Kernpunkt um den sich viele Überlegungen und Diskussionen drehten, nicht nur im Kontext des Kriegs in der Ukraine. Zur Stärkung der Beziehungen von unten, also auf der „Ebene des normalen zivilen Lebens“, soll auch unser Progaramm Ein Jahr an der Grenze beitragen. Der Kontext zeigte, von welch riesengroßer Bedeutung es eigentlich ist und wie wichtig es ist, im grenznahen Gebiet gute Beziehungen zu pflegen. Ludmila und ich kommen aus Berlin entschieden bestärkt zurück. Es war inspirierend so viele aktive und offene Menschen zu sehen und Teil eines Netztes zu werden, das den gemeinsamen Raum belebt. Hoffentlich hält die Motivation noch lange vor (-:
Ein regnerischer Maimorgen. Wir sind auf dem Weg vom deutschen und tschechischen Grenzgebiet mitten hinein ins Zentrum des Geschehens. Prag empfängt uns mit hundert Türmen und hundert Sprachen. Ich habe lange nach der deutschen Sprache Ausschau gehalten. Man fühlt sich irgendwie europäischer, multikultureller, die Tore der Möglichkeiten stehen weit offen, sobald man aus dem Zug steigt. Aber vielleicht ist das auch nur eine Illusion – wir atmen wieder freier. Hier – im Gebiet zwischen zwei Welten, in denen verschiedene Sprachen gesprochen werden und wo wir dennoch so viel miteinander gemeinsam haben!
Wir sind zu sechst und wollen das Verbindende finden und zu entwickeln. Das zweite Jahr des Grenzjahres beginnt.
Das Schlüsselwort, das bei unserem ersten Treffen immer wieder fällt, heißt „neue Wege“.
Wir fragen uns, was sich alles hinter diesem Motto verbergen mag. Auf dem Gebiet der tschechisch-deutschen Zusammenarbeit ist seit der Wende viel getan worden, es ist schwer, etwas Neues zu finden, etwas, an das andere noch nicht gedacht haben…
Oder etwa doch nicht? Was ist mit der Fahrt des neuen Präsidenten Peter Pavel zum Grenzfest „Wochen der Freundschaft“ in Selb auf einem Motorrad? Was ist mit den Poesiomaten, die im Sudetenland Gedichte an vergessenen Orten vortragen, die nun wieder zum Leben erwachen? Das klingt alles großartig und schön, ist aber eigentlich genauso wichtig wie ein Treffen von Brettspielvereinen oder kleinen Imkern…
Schauen wir also, wohin uns die Wege führen.
Gebahnte Wege, Pfade oder auch Wege in den Himmel … sie alle werden von uns beschritten. Kommen Sie mit!
Hinter dem Berg, der den Namen der heute so gefürchteten Bestie trägt, liegt „Hinter-Berg“ – auf tschechisch heißt der Ort Záhoří. Ein kleines Dorf in Westböhmen, das wie viele andere in der Nachkriegszeit dem Untergang geweiht war. Es erlebte eine Umsiedlungswelle, dann die zweite, die dritte… Záhoří (der alte deutsche Name ist Sahorsch) wurde verlassen und selbst die Kapelle, die über die stillen, schönen Weiden zum Bach Kosí hinunterschaut, war baufällig.
Glücklicherweise wurde vor zwanzig Jahren die Dreifaltigkeitskapelle repariert, unter anderem dank der Unterstützung durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, und dies war auch der Anstoß für die Wiederbelebung des Festes, das untrennbar mit dem Dorf Záhoří verbunden ist – das Butterbrotfest.
Dieses Fest war eine Einladung an die Nachbarn aus dem Städtchen Černošín, die „unter dem Berg“ lebten, sich am ersten Samstag im Juni zur Messe und einem anschließenden Nachbarschaftstreffen in die Kapelle in Záhoří zu begeben. Es gab Getreidekaffee und natürlich auch frisches Brot mit Butter. Das Brot wurde im Brotbackofen des einzigen Hauses gebacken, das heute noch steht.
Der ruhige und nachbarschaftliche Charakter des Festes hält bis heute an. Die „Pilger“ kommen nach Záhoří aus vier Richtungen: aus den Orten Ošelín, Svojšín, Olbramov und Černošín. Auf ihrem Weg kommen sie an der Burg Volfštejn und an den Ruinen der Gaststätte auf der Vlčí hora (dem Wolfsberg) vorbei, wo früher Limonade und Bier aus der örtlichen Brauerei auf dem Burgberg Třebel serviert wurden. Einige bringen auch selbstgebackenes Brot mit.
Auf die zweisprachige deutsch-tschechische Messe folgt in der Regel eine deutsch-tschechische Lesung. Fast immer nehmen Deutsche, darunter entweder ehemalige Bewohner von Záhoří oder deren Nachkommen und Freunde, an den Feierlichkeiten teil. Für sie war es immer ein wichtiger Festtag, wenn sie die „Heimat“ besuchten konnten. Leider ist in diesem Jahr zum ersten Mal seit siebzehn Jahren niemand von der deutschen Seite gekommen. Das entspricht auch dem Trend bei allen Begegnungen mit den Einheimischen in den Grenzdörfern und -städten. Die Kontakte gehen verloren und mit ihnen ein Teil der Geschichte des Ortes. Aber dies ist wohl auch der natürliche Lauf der Dinge. Unsere Aufgabe ist es, diesen Teil unserer gemeinsamen Vergangenheit zu kartieren und an die nächste Generation weiterzugeben.
Es ist ein Jahr vergangen, seit ich mit dem Programm begonnen habe, und ich möchte kurz zurückblicken auf alles, was passiert ist, und das war nicht wenig!
Heute möchte ich zwei Themen herausgreifen- das erste betrifft die Komenský-Grundschule in Horažďovice, die früher eine Partnerschule auf der bayerischen Seite hatte. Der Kontakt ist abgebrochen, vielleicht wegen der Covid-Pandemie, vielleicht aus anderen Gründen – das werde ich nicht mehr herausfinden können. Tatsache ist, dass es meine Aufgabe war, eine andere Partnerschule zu finden, es war ein langer Weg. Und weil ich auch beim Laufen hartnäckig bin, habe ich mich auf einen Marathon des Suchens und der Kontaktaufnahme eingelassen und erst nach langer Strecke und damit auch langer Zeit ist es mir gelungen, den ersten Kontakt mit der Grundschule Zwiesel herzustellen. Das Beste daran war, dass ich direkt von einem Lehrer angesprochen wurde, den ich schon lange kenne. Diese Gelegenheit ließ ich mir nicht entgehen und siehe da – die erste Partnerschaft für die 4. Klasse der bayerischen Grundschule mit der 5. Klasse der Grundschule aus Hořovice war geboren.
Aber es ging auch darum, eine geeignete Schule für den Austausch in der achten Klasse zu finden. Lange musste ich nicht suchen – die Staatliche Realschule Regen, an der ich im Herbst die Gelegenheit hatte, das Programm „Ein Jahr an der Grenze“ kurz vorzustellen, war sofort zur Kooperation bereit, eine Anfrage reichte. Den Satz des stellvertretenden Direktors, den ich telefonisch erreichte, werde ich nicht vergessen: „Toll, dass Sie angerufen haben! Wir würden gerne eine Partnerschaft mit einer Schule in der Tschechischen Republik eingehen, wir haben Partnerschaften in Österreich, Finnland, Dänemark, aber noch nicht mit der Tschechischen Republik.“ Ich übergab die Kontakte und dann ging alles ganz schnell, die Schulleiterin aus Hořovice besuchte zusammen mit einer sehr aktiven Deutschlehrerin sowohl Zwiesel als auch Regen.
Das Ergebnis sind geplante Begegnungen – ein eintägiger Schüleraustausch mit der Grundschule Zwiesel wird Mitte Juni 2023 stattfinden. Eine Begegnung zwischen Schülern aus Horažďovice und Regen ist für den Herbst 2023 im Böhmerwald geplant, Thema der Austauschbegegnung wird der Schriftsteller Karel Klostermann sein, der eng mit dem Böhmerwald verbunden ist und dessen 100. Todestag in diesem Jahr begangen wird.
Die zweite sehr erfolgreiche Verbindung war die zwischen der Organisatorin des Internationalen Folklorefestivals, das jährlich in Klatovy stattfindet, und der Jugendfolkloregruppe Almrausch aus Regensburg. Die örtliche Jugendgruppe des Folkloreensembles Böhmerwald wird sich mit der deutschen Jugendgruppe Almrausch treffen und gemeinsam auf dem Festival auftreten. Für die Zukunft planen die Gruppen weitere gemeinsame Treffen und Auftritte. Für mich und die Festivalorganisatorin Denisa Valentová ist diese Verbindung ein großer Erfolg und eine Freude zugleich, denn erst nach mehr als 10 Jahren wird ein bayerisches Folkloreensemble auf diesem Festival auftreten, obwohl Bayern sozusagen gleich hinter dem Gartenzaun liegt.
Zusammen mit meiner Kollegin Sara, die für den südlichen Teil des Böhmerwaldes und des Bayerischen Waldes zuständig war, ist es uns gelungen, den Kontakt zu der Organisation „Menschen in Europa” herzustellen, die auch den Internationalen Volksmusiktag in Adlersbach organisiert. Mit unserer sprachlichen Unterstützung ist es uns gelungen, die beiden Organisatorinnen miteinander in Kontakt zu bringen, die auch zugesagt haben, die Kontakte an die örtlichen Folkloregruppen weiterzugeben, sich gegenseitig bei der Werbung für die Festivals zu helfen und so diese Veranstaltungen auf der anderen Seite der Grenze bekannt zu machen. Gleichzeitig werden sie zum gegenseitigen deutsch-tschechischen Austausch beitragen, indem das tschechische Ensemble in Adlersbach gemeinsam mit deutschen Ensembles auftritt und deutsche Ensembles im nächsten Jahr auch in Klatovy vertreten sein werden.
Ich wünsche meinen Kolleginnen und Kollegen vom 2. Jahrgang des „Jahr an der Grenze“, dass sie ihr Engagement genießen und ihren Enthusiasmus nicht verlieren, auch dann nicht, wenn sie Marathonstrecken laufen, bei denen es sowohl Krisen als auch schöne Momente gibt, die eine Menge Endorphine und Energie liefern!