BLOG č. 14

Würden Sie die Krippenfiguren mitnehmen, wenn Sie eine Reise machen würden, von der Sie vielleicht nicht zurückkehren? Die Mutter von Herrn Haidel hat das 1946 während der Vertreibung getan. Sie packte den vierjährigen Horst, seinen älteren Bruder und das Nötigste ein und legte achtzig Figuren aus der selbstgebauten Krippe in eine Kiste unter die Kleidung des Babys im Kinderwagen.

Gott weiß, warum sie diese Entscheidung getroffen hat. Vielleicht erinnerten die Figuren sie an ihren Mann, der noch irgendwo im Ausland weilte und im Jahr 1924, also vor genau einhundert Jahren, die erste gekauft hatte, vielleicht wollte sie die Erinnerung an ein gemeinsames Weihnachtsfest bewahren, das nie wieder „zu Hause“ stattfinden sollte.

Von Úterý/Neumarkt wurde die Familie Haidl in das Sammellager in Chodová Plané transportiert, dann nach Westen nach Wiesau und Tirschenreuth, wo Herr Horst Haidl den Rest seines Lebens verbrachte.

Ich treffe ihn im Museum in Tirschenreuth, wo gerade die jährliche Krippenausstellung läuft. Wir stehen direkt vor denen, die er selbst gebaut hat. Er hat 2005 mit dem Bau der großen Krippe begonnen und ab 2008 nach und nach Szenen hinzugefügt und weitere Figuren gekauft. Die Figuren in Herrn Haidls Krippe heißen „Grulicher Figuren“ und die Krippe selbst „Grulicher Krippe“. „Grulich“ war der deutsche Name für die Stadt Králíky am Fuße des Adlergebirges. Hier begann sich Ende des 18. Jahrhunderts die Krippentradition rasch zu entwickeln, ironischerweise dank des josephinischen Verbots von Krippen in Kirchen. Weil die Menschen nicht an der Krippe in der örtlichen Kirche Andacht halten konnten, holten sie dieses Symbol der christlichen Weihnacht in ihre Häuser hinein. Die Nachfrage nach den Figuren wuchs im 19. Jahrhundert so stark, dass die Herstellung von Krippen zu einem der gebräuchlichsten Handwerksberufe in Králice wurde. Die Figuren überschwemmten nicht nur die lokalen Märkte, sondern wurden auch als so genannte „Grulicher Mannln“ oder auch unter der Bezeichnung „echt Wiener Krippen“ in  ganz Europa verbreitet. Die Tradition endete zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, aber die Figuren sind noch heute auf verschiedenen Internetauktionen und in Antiquitätengeschäften zu finden.

So bekam sie auch Herr Haidl, der heute wohl die größte Sammlung dieser Figuren im Landkreis Tirschenreuth besitzt. Vor dem Hintergrund all der Häuser, Schafe, Musikanten, der Heiligen Drei Könige und der Bergmannskapelle vor seinem Wohnhaus sticht das Bild der Kirche St. Johannes der Täufer am Dienstag hervor. Die Silhouette wurde von seinem Freund Erich Werner aus Chodau/Chodova gemalt.

Und so haben wir ein weiteres Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte geöffnet. Ob wir es nun wollen oder nicht, sie begleitet uns… oder zumindest diejenigen, die ihr zuhören wollen. Wir überschreiten die Grenzen auf beiden Seiten, um sie kennen zu lernen. Die ältere Generation noch mit einem Hauch von Bitterkeit, die jüngere Generation oft mit einem Sinn für und Lust auf Abenteuer.

Kamila Jůzlová