BLOG Nr. 12

Was passiert in diesem Jahr an der deutsch-tschechischen Grenze im Gebiet von Liberec (Reichenberg) und Horní Lužice (Oberlausitz), Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe) und dem Elbtal? Es ist eine ganze Menge los! Hier ein ganz kurzer Überblick…

Derzeit bin ich noch voller Eindrücke aus Zittau, wo sich die Leiter und Besucher*innen des Jugendcafés Café X des Deutschen Kinderschutzbundes und die Leiter und Klient*innen der niederschwelligen Einrichtung Wafle der Organisation Rodina v centru aus Nový Bor (Haida) zum ersten Mal trafen. Es war ein sehr freundliches Treffen mit einem gemeinsamen Tischfußball- und Tischtennisspiel, das ohne größere Hindernisse bei der Kommunikation und beim Austausch verlief. Das einzige Hindernis tauchte unerwartet kurz vor dem Treffen auf. Es lag in der leider noch ungewissen Existenz des Cafés für das nächste Jahr, eine völlig neue, unangenehme, wenn auch noch nicht hundertprozentig bestätigte Nachricht, die keine der Gruppen vor dem Treffenstermin kannte. Das Treffen fand dennoch in einer erwartungsvollen Atmosphäre statt und wir werden die begonnene Partnerschaft auf jeden Fall weiter ausbauen, sei es mit dem Jugendcafé X oder dem Offenen Treff, einem Raum für jüngere Jugendliche und Kinder in derselben Einrichtung. So oder so, ich drücke dem Café X beide Daumen!

Es folgte eine abenteuerliche und unerwartet anstrengende Reise durch die eiskalte Nacht von Zittau über Dresden nach Chemnitz und die Teilnahme am dortigen Deutsch-Tschechischen Regionalforum. Was ich daraus mitgenommen habe, ist u.a. die Bestätigung meiner Meinung, dass jede Grenzgemeinde und jede größere Institution einen ständigen Koordinator*in für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit braucht, der sich langfristig für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit einsetzt, damit gemeinsame Partnerschaften und Projekte nachhaltig sind. Es wurde auch vorgeschlagen, dass dies eine in der Gesetzgebung verankerte Verpflichtung für die Grenzgemeinden sein sollte, zumindest für einen vorübergehenden Zeitraum…

Am nächsten Tag in Chemnitz nutzte ich die Gelegenheit, mit der Plattform Kreativni.uk von Ústí nad Labem die zukünftige Kulturhauptstadt Europas zu besichtigen. Ich dachte an den Slogan „Chemnitz ist weder braun noch grau“, hinter dem sich die gleichnamige Initiative aktiver Bürger*innen verbirgt und die darauf hinweist, dass Chemnitz weder eine Stadt der (Neo)Nazis* oder Nationalist*innen ist, die durch die Farbe Braun symbolisiert werden, noch eine uninteressante graue postsozialistische Stadt mit rückläufiger Industrie. Und ich frage mich, ob so etwas auch Ústí nad Labem anstoßen könnte und ob Ústí in naher Zukunft Kulturhauptstadt Europas werden könnte? Bis jetzt scheint es wie ein Witz, aber paradoxerweise würde es Sinn machen.

Und dann ist da noch der wichtige erneute Besuch in Liberec, wo ich festgestellt habe, dass der Verein Tulipán, der sich auf die Hilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen konzentriert, mit einem sehr durchdachten und sinnvollen Konzept arbeitet. Seine Mitarbeiter*innen sind bestens vorbereitet und freuen sich auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Jetzt müssen sie nur noch eine Partnerorganisation auf deutscher Seite finden, was bisher in diesem Bereich aufgrund der Arbeitsbelastung der potenziellen Partner ein Problem war. Aber während der Destigmatisierungswoche mit dem Verein Tulipán hatte ich die Ehre, dabei zu helfen, den Weltrekord im massenhaften Zerplatzen von Plastikblasen zu brechen. Diese Blasen sind ein Symbol für die zerbrechliche menschliche Seele und werden ansonsten werden für die Verpackung von Produkten aus geschützten Werkstätten verwendet. Dieser symbolische Akt der Verbindung stimmte mich optimistisch…

Noch am gleichen Abend fand ich mich in einem Paralleluniversum in Liberec wieder, bei einem Weihnachts-Networking bei Lipo.ink, einem Liberecer Inkubator für vielversprechende Start-ups, wo das bereits 10. Treffen vom Verein „Frauen aus dem Norden“ organisiert wurde, der sich auf die Schaffung eines sicheren Raums für unternehmerisch aktive Frauen aus Nordböhmen, ihre Ausbildung und Emanzipation konzentriert. Den Frauen aus dem Norden wird nachgesagt, dass sie rauer, sportlicher und weniger gesellig sind als anderswo, aber der Verein konnte dieses Stereotyp erfolgreich überwinden und hat im vergangenen Jahr auch eine Zusammenarbeit mit der deutschen Initiative „Löbaulebt“ begonnen, die er gerne fortsetzen möchte. Alle bisherigen Teilnehmerinnen würden sich über gleichgesinnte Frauen aus Sachsen bei zukünftigen Treffen freuen.

https://kinderschutzbund-zittau.de/jugendliche/jugendcafe-cafe-x/
https://www.rodinavcentru.cz/sluzby/nzdm-vafle/
https://kinderschutzbund-zittau.de/kinder/offener-treff/
https://euroreg.cz/prvni-cesko-nemecke-regionalni-forum-v-chemnitz/
https://kreativni.uk/
https://wedergraunochbraun.de/
https://www.sdruzenitulipan.cz/
https://www.facebook.com/zenyzeseveru
https://loebaulebt.de/

Anfang November war für mich als Koordinatorin der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein Durchbruch in Sachen Vertrauen und Motivation, in dem ich an mehreren Veranstaltungen im Rahmen der Tage der tschechischen und deutschen Kultur teilnahm. Ein an sich etabliertes, für mich aber neu entdecktes Festival hat in diesem Jahr durch die Mithilfe der Stadthalle Hraničář in Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe) bei der Organisation auf tschechischer Seite und der Ausweitung des Programms auf kleinere Städte (außerhalb Dresdens tut sich immer mehr) einen neuen Atem bekommen zu haben. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, mehr Veranstaltungen abseits des Mainstreams zu besuchen, die sich auf communities und Begegnungen konzentrieren. Und obwohl ich anfangs Zweifel hatte, ob ich bei diesen Veranstaltungen nur Akteure treffen würde, die bereits über die Grenze hinweg miteinander verbunden sind, stellte ich fest, dass das Spektrum der „Dienstleistungen“, die wir im Rahmen des Jahres an der Grenze anbieten, nämlich die Kontaktaufnahme mit aktiven Bürgern und Vereinen im Grenzgebiet, die Vermittlung von Kontakten zu gleichgesinnten Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen sowie die Zusammenführung von Personen, die an einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit oder Partnerschaft interessiert sind, hier großen Anklang fand.

So ging ich eines Tages zur Deutschkonversation in den „Deutschklub mit Überraschung!“ in Litoměřice (Leitmeritz), wo nun schon im 7. Jahr das Motto gilt: „Da wir in Leitmeritz sind, sprechen wir natürlich Deutsch – und zwar so, wie es jeder vermag“ und um bei dieser Gelegenheit gemeinsam Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln. Leider war ich auf diesen Umstand nicht ganz vorbereitet und die Leiterin des Clubs, Hana Pavlištová, hätte mich fast nicht reingelassen. 😊 Aber zum Glück sah ich ein bekanntes Gesicht – die Mitorganisatorin des Abends und hartnäckige Organisatorin der Alternativkultur in Litoměřice Renata Vášová –sie sorgte nicht nur dafür, dass ich eingelassen wurde, sondern stellte mich auch gleich ihrer Kollegin Hanka Galiová vor. Hanka Galiová hat die Leitung ihres gemeinnützigen Vereins Kinoklub Ostrov übernommen, der nicht nur das Sommerkino von Litoměřice und den Filmclub betreibt, sondern auch jedes Jahr Ende August das renommierte Filmfestival organisiert. Und Hanka und ich begannen sofort, Pläne für grenzüberschreitende Aktivitäten zu schmieden, und zu uns gesellte sich eine sehr wichtige Person, sozusagen eine Kultfigur, nämlich Lenka Holíková vom Kulturzentrum Řehlovice. Ich traf beide im November bei einer Besichtigung des Sommerkinos auf der hiesigen Střelecký-Insel und der Gotischen Zwillingsgalerie im ältesten Haus in Litoměřice wieder. Es war sofort klar, dass die „Club“-Szene dort den deutschen Partnern, die ihnen zweifelsohne am Herzen liegen, viel zu bieten hat und dass das Networking Spaß machen würde.

Eine ähnliche Veranstaltung wie der Deutschklub, bei der die erwähnte „Überraschung“ eine großartige Verkostung sächsischer Weine aus den Weinbergen der Elbe-Region war (unter der hervorragenden fachlichen Anleitung der „Weinkönigin“, Frau Juliana Kremtz), stellte die deutsch-tschechische DŽEM-Session in Pirna dar. Es ist ein bereits traditioneller Wettbewerb um die beste Marmelade, Konfitüre oder das beste Fruchtpüree im Rhythmus des Jazz, der diesmal von einer Band aus Děčín (Tetschen) dageboten wurde. Abgesehen davon, dass ich wieder überrascht war, wie viele Leute sich mit ihren Kostproben an dem Wettbewerb beteiligten, war ich schon besser vorbereitet als beim letzten Mal. Ich hatte auch genügend Bargeld dabei, um auch eine der besten Marmeladen, natürlich Birne, zu versteigern, denn darin sind sie die Besten in Pirna und konnte damit einen Beitrag zur Initiative Pirna 800 leisten.

Die Initiative hat die Veranstaltung mitorganisiert und sich zum Ziel gesetzt, bis zur 800-Jahr-Feier der Stadt Pirna (wahrscheinlich bis 2033) 800 neue Bäume zu pflanzen. Abgesehen davon, dass ich mich über diese Initiative und die Möglichkeit, einen Beitrag dazu zu leisten, sehr gefreut habe, hat mich auch die Tatsache amüsiert, dass die Stadt Pirna eine Birne oder einen Birnbaum in ihrem Wappen führt, was sicher irgendwie mit der phonetischen Ähnlichkeit der beiden Wörter Pirna – Birne zusammenhängt. Aber ich musste wirklich lachen, als Helge Goldhahn, der Vater der Initiative Pirna 800, mir auf Tschechisch erzählte, dass er einen Teil seines Lebens in Brünn gelebt habe und man ihn nie richtig verstand, wenn er zu erklären versuchte, dass er nicht „aus Brünn“, sondern „aus Pirna“ sei… Und ich weiß jetzt nicht genau, wie das zusammenhängt, aber ich musste an Karel Gott und seinen gleichnamigen Schlager denken, als ich mich dem Restaurant Babička in Pirna näherte –seine Lieder und das gemeinsame deutsch-tschechische Musizieren standen tatsächlich an diesem Abend auf dem Programm. Natürlich werden bei der allgemeinen Heiterkeit auch Kontakte geknüpft, und wir konnten mit der Bildungsleiterin der Stadtbibliothek Děčín, Frau Mirka Nedvědová, die auch die diesjährige DŽEM-Sitzung mitorganisiert hat, ernsthafte Pläne entwickeln, wie wir beim Organisieren der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei deutsch-tschechischen Literaturabenden, Kunstworkshops und Ausstellungen, beim deutsch-tschechischem Theater, Vorträgen über die deutsche Geschichte der nordböhmischen Region, Erfahrungsaustauschen über die Nutzung ehemaliger Industriegebäude und das Funktionieren von Bürgerinitiativen usw. mithelfen könnten. Bibliotheken sind neue Kultur- und Gemeinschaftszentren, und es wäre schade, wenn ihr gegenwärtiger Aufschwung keine Unterstützung finden würde. Es ist zu hoffen, dass zumindest einige der Pläne bis zum Ende des aktuellen Jahrgangs von Ein Jahr an der Grenze verwirklicht werden können.

https://www.tdkt.info/cz/
https://www.knihovnalitomerice.cz/novinky-v-projektech/deutschklub
https://kinoostrov.cz/
https://kcrehlo.cz/cs/
https://pirna800.de/baumspenden
https://www.dcknihovna.cz/

Veronika Kyrianová