BLOG č. 25
Ein Dreiländereck ist ein Ort, wo die Grenzen dreier Staaten aufeinandertreffen. Auf der Karte Europas gibt es davon Dutzende. Das deutsch-tschechisch-polnische Dreiländereck liegt am Zusammenfluss des Ullersbachs (Oldřichovský potok) mit der Lausitzer Neiße, wobei die Staatsgrenzen in der Mitte der beiden Flüsse verlaufen. Es befindet sich knapp 2 km vom Zentrum der Stadt Hrádek nad Nisou entfernt, unweit von Zittau und dem polnischen Bogatynia.
An diesem symbolträchtigen Ort finden das Volksfest „Auf dem gemeinsamen Weg“ und ökumenische Gottesdienste statt. Im Juni überbringt hier die Neiße-Fee auf dem Fluss eine Botschaft und im Dezember werfen die Bewohner des Dreiländerecks eine Flaschenpost ins Wasser.
Ich hatte an diesem Ort zuletzt, Ende August 2020, eine Demonstration gegen die abermalige Erweiterung des polnischen Braunkohlentagebaus Turów erlebt. Der in unmittelbarer Nähe zur deutschen und tschechischen Grenze gelegene Tagebau förderte damals rechtswidrig Kohle, und die tschechische Regierung hatte bei der Europäischen Kommission den ersten Impuls für eine Klage beim Europäischen Gerichtshof gegeben. Organisatoren der Demonstration waren Leute aus der Hrádeker Gegend, repräsentiert durch die Gruppe Hlavou proto Turów, die Organisation Greenpeace Česká republika, die Ortsgruppe Greenpeace Oberlausitz und die polnische Organisation Rozwój TAK – Odkrywky NIE. Teil des Protests waren auch eine durch das Gebiet aller drei Staaten verlaufende Menschenkette und eine Bootsfahrt mehrerer Dutzend Teilnehmender auf der Neiße. Die Organisatoren wollten auf die Notwendigkeit einer gemeinsamen Lösung für die allgegenwärtige Klimakrise verweisen. Der internationale Streit wurde jedoch im Februar 2022 schließlich durch ein eilig und nicht ganz transparent abgeschlossenes Abkommen zwischen den Regierungen Polens und der Tschechischen Republik beigelegt. In Turów wird daher nach wie vor Kohle gefördert – die Folgen bedrohen noch immer das Leben der Anwohner und stehen im Widerspruch zu den Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens und den Zielen des Green Deals. Turów bleibt somit ein explosives Thema, und das nicht nur im Dreiländereck.
Das kann oder muss man jedoch manchmal vergessen, denn im Dreiländereck tun sich seither auch andere Dinge. Am Samstag, dem 27. April 2024, wurde hier an die „Sternstunde Europas“ erinnert – an die Feier zur EU-Erweiterung im Jahr 2004, die 2007 mit dem Beitritt Polens und der Tschechischen Republik zum Schengen-Raum vollendet wurde. Die tschechisch-polnische Grenze kann man derzeit auf einem Steg über den Ullersbach überqueren. Die Ufer der Neiße verband einst die sogenannte Himmelsbrücke, die sich 200 Meter flussabwärts vom Dreiländereck befand, aber aufgrund ihres schlechten technischen Zustands abgerissen wurde. Danach hatten sich die Städte Hrádek nad Nisou, Zittau und Bogatynia für den Bau einer Dreiländer-Brücke (oder eher eines Fußgänger- und Radfahrerstegs) direkt am Zusammenfluss beider Flüsse stark gemacht. Dieses Projekt erwies sich jedoch aufgrund der unterschiedlichen Rechtslage in allen drei Ländern als Utopie, als Science-Fiction, kurz: als unrealistisch. Und so musste zur 20-Jahr-Feier der EU-Erweiterung mit Unterstützung des Technischen Hilfswerks eine provisorische Brücke vom deutschen zum tschechischen Ufer errichtet werden.
Am Tag der Feier konnte man daher ungestört zwischen den Ländern hin und her laufen. Es war ein sehr warmer Tag. Man musste auf die Trinkmenge achten und sich vor der gleißenden Sonne schützen, sodass man auf tschechischer Seite um ein Bier nicht herumkam, in Polen gierig ein Fruchteis verschlang und in Deutschland schließlich seinen Energietank mit allerlei Fast- und Junkfood auflud. Damit es nicht nur bei solch kulinarischen Erlebnissen blieb, fand auf dem Hauptpodium der Feier ein ganztägiges – vorwiegend musikalisches – Kulturprogramm mit lokalen Folkloreensembles, Tanzgruppen, klassischer und alternativer Musik statt. Dieses Hauptpodium befand sich auf tschechischer Seite. Auf polnischer Seite konnten sich vor allem die Kinder austoben, für die eine Hüpfburg und andere Attraktionen aufgebaut waren. Auf deutscher Seite präsentierten sich in seriöser Weise verschiedenste grenzübergreifend tätige Organisationen und Initiativen, darunter auch der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds.
An dessen Stand informierten wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen über die Tätigkeit des Fonds und über das laufende Programm „Ein Jahr an der Grenze“. Letzteres ist vielen noch immer neu, weshalb sein Sinn und Inhalt erläutert und an seiner Popularisierung gearbeitet werden muss. Die Besucher der Veranstaltung waren zumeist Einheimische aus dem Grenzgebiet, aus der Region Liberec und der Oberlausitz – also aus „meinen“ Regionen, an die sich das Programm unter anderem richtet. Sie hörten sich daher gerne an, worum es in dem Programm geht und was es zu bieten hat. Einige nahmen Visitenkarten mit und überlegten, wie sie „Ein Jahr an der Grenze“ selbst nutzen könnten. Und nach meiner fast einjährigen Tätigkeit in dem Programm konnte ich ihnen auch schon einzelne Beispiele für Networking und für zustande gekommene Kooperationen zwischen deutschen und tschechischen Akteuren vorstellen, so z.B. die Vernetzung regionaler Bibliotheken, kommunaler Kultureinrichtungen, ökologisch oder sozial ausgerichteter Bildungsorganisationen oder örtlicher Sportklubs. Diese Aktivität verlagerte sich dann für ungefähr eine Stunde in einen Festivalzug, der in regelmäßigen Abständen das ganze Dreiländereck abfuhr. Einen Waggon hatte nämlich der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds gemietet, um die Fahrgäste auf unterhaltsame Art über seine langjährige Tätigkeit in den deutsch-tschechischen Beziehungen zu informieren. In Form eines Gesprächs mit mir und meinem Kollegen Steffen Retzlaff sollte auch das vom Fonds organisierte Programm „Ein Jahr an der Grenze“ vorgestellt werden. Der erfahrene Moderator Justin Svoboda, der fast den ganzen Tag im Waggon verbracht hatte, kam jedoch zu dem vernünftigen Schluss, dass für das geplante Gespräch, in dem ich von meiner bisherigen Tätigkeit in der Grenzregion berichten sollte, während der Zugfahrt nicht gerade die besten Bedingungen herrschen. Daher schaltete er während der Fahrt lieber erholsame Lieder ein, ließ den zusteigenden Fahrgästen an jeder Station eine herzliche Begrüßung zuteilwerden, und während sie ein- und ausstiegen, vermittelten wir ihnen einen schnellen, aber intensiven Eindruck von den Erfolgen des Fonds während seiner 25-jährigen Tätigkeit wie auch von der Existenz des Programms „Ein Jahr an der Grenze“. Wer mehr wissen wollte, konnte uns natürlich fragen. Die meisten Fahrgäste waren jedoch froh, dass sie überhaupt in den Zug gekommen waren und eine Weile einfach so irgendwo hinfuhren….Auf diese Erfahrung folgte dann noch der Abschluss des Fests mit drei gemeinsamen Feuern – „Dreiländerfeuern“, wie im Programm zu lesen war. Auf jeder Seite der Grenze wurde ein großer Holzhaufen errichtet, der bei Einbruch der Dämmerung entzündet werden sollte. Dies war ein geplanter symbolischer Akt, an dem unter Aufsicht von Feuerwehrleuten auch Lokalpolitiker teilnahmen. Doch welcher Symbolgehalt ließ sich aus den einzelnen Feuern herauslesen? Das tschechische Feuer loderte als erstes auf, es brannte am schnellsten und erlosch auch zuerst. Das deutsche brannte beharrlich, mit durchschnittlich starker, beständiger Flamme und warf seinen Lichtschein auf die dunkel gewordene Neiße. Das war schön, aber auch etwas langweilig… Das polnische Feuer brannte, obwohl man es mehrfach und nicht gerade sparsam mit Benzin übergoss, erst lange Zeit gar nicht, und dann qualmte es mehr als es brannte. – Wie Turów, könnte man sagen. (Sorry für den Sarkasmus, doch es war ein etwas verlegener und komischer Abschluss des Tages.) Vielleicht wäre ja EIN gemeinsames Feuer besser gewesen, bei dessen Errichtung und Entzündung sich die drei Länder helfen und in dem sich die guten wie schlechten Eigenschaften von allen dreien verbinden… Vielleicht ja dann nächstes Mal, beim nächsten runden EU-Beitritts-Jubiläum im Dreiländereck! Vielleicht dann schon ohne Turów und mit einem gemeinsamen Feuer! Mit dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und einem weiteren „Jahr an der Grenze“! Und vielleicht auch schon mit einer Dreiländer-Brücke, deren gleichmäßige Brückenarme Symbol einer tatsächlichen Gleichberechtigung aller drei Länder im Rahmen einer EU sind!
Veronika Kyrianová