Dieser Blogartikel ist einmal ein bisschen anders. Seit einigen Monaten beschäftige ich mich nun mit der Geschichte des Uranbergbaus in böhmisch-sächsischen Grenzgebiet. Alles fing an bei einem Vernetzungstreffen im Oktober, wo ich auch das Projekt Řetizkarna des Vereins Političtí vězni.cz aufmerksam wurde. Vor einige Jahren hatten sie das alte Kettenhaus des Lagers Rovnost (Gleichheit) in Jachýmov gekauft, und wollen dieses nun in ein Bildungs- und Kulturzentrum verwandeln. Ich fuhr also hin, lernte einige involvierte Menschen kennen und begann, mich tiefer in die Geschichte von Jáchymov einzuarbeiten.
Im Erzgebirge treffen zwei sehr unterschiedliche Kapitel des Uranbergbaus aufeinander – fast wie zwei Welten, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegen. In der DDR wurde Uran in einem hochgradig regulierten, technisch ausgereiften Betrieb abgebaut. Hier arbeiteten Bergleute unter staatlich festgelegten, planvollen Bedingungen. Die Wismut entschied sich gegen zwangsverpflichtende Arbeit und lockte Arbeiter stattdessen mit guter Verpflegung und außergewöhnlich hohen Gehältern. Bergarbeiter bei der Wismut waren beinahe sozialistische Helden.
Auf der tschechischen Seite des Erzgebirges sah die Situation ganz anders aus. In der Tschechoslowakei wurde 1945 ein Abkommen mit der Sowjetunion geschlossen, das dieser eine Art Autonomie zusicherte und die Tschechoslowakei lediglich zu einem Rohstofflieferanten machte. Mit mäßigem Erfolg wurde zwar versucht, zivile Arbeiter für die Uranabbau zu finden, doch größte Arbeitergruppe waren für die Vertreibung bestimmte Sudetendeutsche und deutsche Kriegsgefangene aus der Sowjetunion. Tausende Menschen mussten also schon vor dem sozialistischen Putsch 1948 unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten. Auch danach setzte die sozialistische Regierung auf vor allem politische Häftlinge und gründete zwei gänzlich neue Lagertypen. Zum einen waren das die Zwangsarbeitslager (Tábory Nucené Práce – TNP), die es von 1949 bis1951 bei den Uranbergwerken gab. Zum anderen waren das die Besserungs-Arbeitslager (Nápravně Pracovní Tábor – NPT), die zwischen 1949 und 1953 gegründet wurden.[1] In der Region rund um Jáchymov gab es insgesamt elf solcher Zwangsarbeitslager.
Mit Initiativen wie dem Lehrpfad „Die Hölle von Jáchymov“ und dem „Kreuzweg zur Freiheit“ wird seit einigen Jahren versucht, das Leid und die Schicksale der Zwangsarbeiter öffentlich zu machen. Informationstafeln und Gedenkorte laden Besucher ein, sich mit den dunklen Seiten dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Gleichzeitig gehen die meisten dieser Projekte primär auf private Initiativen zurück. Bei einem Treffen versuchten wir einen Weg zu finden, mehr deutschsprachige Gruppen für diese Geschichte zu begeistern und nach Jachymov zu bringen. Die Idee ist sehr simpel und kompliziert zugleich: Die Schicksale einiger deutschsprachiger Zwangsarbeiter aufarbeiten und in deutschsprachige Angebote einbauen. Doch während es auf der tschechischen Seite viele Informationen gibt, und die Organisation Političtí vězni.cz auch mit einigen Überlebenden der Zwangsarbeitslager und/oder „Besserungs-arbeitslager“ zusammenarbeitet, gibt es weiterhin fast keine Informationen über die Identität der Deutschen Kriegsgefangenen und Sudetendeutschen. Wer waren also diese Häftlinge, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Jáchymov Zwangsarbeit leisten mussten? Auf den Spuren dieser Geschichte waren wir Anfang Januar auch in Bad Schlema im Erzbergbaumuseum und hatten ein ausführliches Gespräch mit dem Leiter des Museums.
Ich erfuhr, dass die Wismut Anfang der 50er Jahre einige der deutschen Häftlinge von der tschechischen Seite des Erzgebirges übernahm – als reguläre Angestellte in Wismut-Betrieben. Ich fand ein paar vielversprechende Dokumente in Archiven und Andeutungen in Büchern. Außerdem fand ich Menschen, die Interesse an einer weiteren tiefgreifenden Recherche haben – und mit etwas Glück entsteht aus dieser Suche ein größeres Projekt.
Doch noch einmal zurück zur Řetizkárna: Neben den Recherchen gibt es viele spannende Pläne für die kommenden Monate und Jahre. Ein Filmprojekt ist in Arbeit, eine Kooperation für ein Theaterstück nimmt Form an, und auch mit Studierenden der angewandten Kunst in Schneeberg bahnt sich eine Zusammenarbeit an. Zudem ist eine deutsch-tschechische Bildungsfahrt zur Zwangsarbeit in der Tschechoslowakei geplant. Es bewegt sich also unglaublich viel – und ich freue mich, diesen Weg ein Stück weit mitzugehen.
[1] Frantšek Šedivý, Uran für die Sowjetunion, 2016, S.22
Die Kulturszene im deutsch-tschechischen Grenzgebiet entwickelt sich immer weiter – mit neuen Herausforderungen, kreativen Ideen und spannenden Kooperationen. Wie können wir diesen Austausch aktiv gestalten? Welche neuen Kooperationen sind möglich, welche Herausforderungen können wir gemeinsam meistern?
Bereits im letzten Jahr kamen Kulturschaffende aus Nordwestböhmen und Sachsen zusammen, um sich auszutauschen, voneinander zu lernen und neue Impulse für gemeinsame Vorhaben zu setzen. In diesem Jahr möchten wir am 3. April 2025 im Veřejný sál Hraničář in Ústí nad Labem daran anknüpfen und die begonnenen Gespräche weiterführen.
Auf dem Programm stehen kleine Präsentationen laufender Projekte und Initiativen und offene Gesprächsrunden, in denen alle ihre Erfahrungen und Visionen austauschen können. Ziel ist es, voneinander zu lernen und die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren auf beiden Seiten der Grenze zu stärken.
Neben dem inhaltlichen Austausch während des Programms gibt es auch darüber hinaus Raum für Begegnung: Nach dem offiziellen Programm bietet Jan Kvapil eine Stadtführung an, die einen anderen Blick auf Ústí nad Labem ermöglicht. Anschließend soll der Abend bei einem gemeinsamen Abendessen ausklingen.
Noch anmelden?
Kurzentschlossene haben die Möglichkeit, sich noch bis zum 14. März 2025 anzumelden. Wer dabei sein möchte, kann sich unter Angabe der folgenden Informationen bei uns melden:
Teilnahme am Netzwerktreffen
Interesse an einer kurzen Projekt- oder Organisationspräsentation (max. 10 Minuten)
Teilnahme an der Stadtführung und/oder dem Abendessen
Kultureller Austausch lebt von Begegnungen und neuen Perspektiven. Dieses Netzwerktreffen ist eine wunderbare Gelegenheit für alle, sich inspirieren zu lassen, Kontakte zu knüpfen und gemeinsam an einer lebendigen, vielfältigen Kulturlandschaft zu arbeiten. Wir freuen uns darauf!
Am Montag, dem 02. Dezember, war es endlich so weit: Bei leichtem Schneefall machte ich mich früh morgens auf den Weg nach Děčín, um mich dort mit VertreterInnen der Stadtbibliotheken aus Děčín und Pirna zu treffen. Es war eine Begegnung, die von Anfang an vielversprechend war, und ich kann im Nachhinein sagen, dass der Tag nicht nur sehr produktiv war, sondern auch viele neue Perspektiven für uns aufgetan hat.
Der Tag begann mit einer Diskussion über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Städten sowie ihren jeweiligen Bibliotheken. Wir tauschten uns über die Bedürfnisse und Herausforderungen der beiden Institutionen aus und suchten nach gemeinsamen Ansatzpunkten für eine Zusammenarbeit. Besonders faszinierend war der Austausch über die unterschiedlichen Herangehensweisen an kulturelle Programme, Nutzerengagement und digitale Angebote. Es war spannend zu sehen, wie sich trotz der geografischen Nähe und ähnlicher Ziele auch viele verschiedene Ansätze und Perspektiven bei den beiden BibliotheksleiterInnen aufgetan haben.
Nach einer kleinen Pause ging es dann weiter mit einer Führung durch das Gebäude der Děčiner Bibliothek. Ich bin immer noch beeindruckt von den verschiedenen Bereichen der Bibliothek und zahlreichen Angeboten, die dort gemacht werden. Es zeigt extrem gut, auf wie vielen unterschiedlichen Wegen eine Bibliothek heute gestaltet werden kann – von der klassischen Ausleihe über eine Klöppelwerkstatt bis hin zu Musikunterricht und einem öffentlichen 3D-Drucker.
Ich freue mich schon sehr darauf, diese Zusammenarbeit und die Entwicklung der konkreten Pläne in den kommenden Monaten begleiten zu dürfen. Es sind schon einige Ideen für gemeinsame Projekte auf dem Tisch, die nicht nur die Bibliotheken und ihre angestammten LeserInnen, sondern auch die Öffentlichkeit beider Städte enger miteinander verbinden sollen.
Während der Zug durch das Elbtal rollt, habe ich Zeit, über die letzten drei Monate nachzudenken. Ich bin auf dem Weg nach Dresden, treffe mich dort mit einem Freund. Die Strecke von Litoměřice durch das Elbtal ist mir mittlerweile sehr vertraut, doch jede Fahrt bietet neue Perspektiven und Gedankenanstöße. Seit ich im Programm „Ein Jahr an der Grenze“ arbeite, hat sich mein Alltag stark verändert. In gewisser Weise spiegelt diese Reise auch meine Arbeit wider – eine konstante Bewegung, mal schneller, mal langsamer, mal einfach, mal kompliziert, aber immer begleitet von neuen Entdeckungen.
Die ersten Monate waren eine spannende, aber auch intensive Phase des Kennenlernens und Verstehens. Ich habe die Grenzregion, in der ich schon länger arbeite, auf eine völlig neue Weise erlebt. Menschen, die ich schon seit Jahren kenne, sind mir noch einmal auf ganz neue, überraschende Weise begegnet. Gleichzeitig hatte ich die Chance, viele neue Kontakte zu knüpfen und Menschen kennenzulernen, die sehr viel Energie in ihre Projekte und Hobbies stecken.
Aber es wäre eine Lüge zu behaupten, dass alles immer einfach gewesen wäre. Besonders die Ambivalenz der deutsch-tschechischen Beziehungen hat mich oft beschäftigt. Auf der einen Seite gibt es hier viele Menschen, die mit Begeisterung grenzüberschreitende Projekte unterstützen und aktiv an etwas Gemeinsamen arbeiten wollen. Ihre Energie und ihr Enthusiasmus sind ansteckend und geben mir Hoffnung für die kommenden Monate. Doch dann gibt es auch die andere Seite – unbeantwortete Emails, Menschen, die sich nach einem ersten Gespräch nie wieder bei mir melden. Ich merke, dass einige Leute keine Zeit oder Motivation haben, sich auf neue Projekte einzulassen. Manchmal setzen sie ihre Prioritäten anders, und oft habe ich Verständnis dafür. Jeder hat seine eigenen Herausforderungen, seine eigenen Sorgen. Trotzdem lässt mich dieser Gedanke nicht los: Desinteresse ist gefährlich, besonders in Zeiten wie diesen. Rassismus, Hass und Gewalt sind Alltag, auch in sonst freundlichen Gesprächen. In solchen Momenten wird mir klar, wie wichtig es ist, nicht aufzugeben, sondern weiterhin für Verständigung und Offenheit zu arbeiten. Deutsch-tschechische Projekte sind sicherlich nicht die Lösung all dieser Probleme, aber sie sind ein Schritt in die richtige Richtung. Sie helfen uns, unsere Herzen offen zu halten und den Dialog zu fördern, auch wenn es manchmal schwierig ist.
Ende Januar und Anfang Februar ist es mir gelungen, ganz unterschiedliche Akteure der regionalen Kultur miteinander in der Grenzregion zu vernetzen. Ich kann mich wirklich nicht darüber beklagen, dass mein Leben während des Programms „Ein Jahr an der Grenze“ nicht abwechslungsreich war und dass ich nicht ständig neue Dinge gelernt habe – zum Beispiel, wie man Schachregeln richtig interpretiert oder wie man eine Schachpartie idealerweise eröffnet. Aber dazu gleich mehr…
Ich freue mich sehr, dass wir zusammen mit der Leiterin der Bildungsabteilung der Stadtbibliothek in Děčín, Frau Miroslava Nedvědová, in die Stadtbibliothek im benachbarten Pirna eingeladen wurden. Die beiden Städte verbindet nicht nur die immer größer werdende Elbe im Norden, sondern auch aktive Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die sich für einen deutsch-tschechischen Austausch stark machen. Frau Viola Marzahn empfing uns zusammen mit ihrem Vorgesetzten, Herrn Schreiber, dem Leiter der Kultur und Tourismus GmbH, zu dem die Stadtbibliothek gehört. Wir wurden durch das sehr kunstvoll restaurierte historische Haus geführt, in dem die Bibliothek untergebracht ist, und zwar buchstäblich vom Keller, in dem angeblich manchmal das Leben im Mittelalter nachgespielt wird, bis zum Dachgeschoss, wo sich die Kinderabteilung für die jüngsten Leser befindet. Neben den Büchern bietet der gemütliche Raum auch alle anderen Medien, in denen Literatur heute verfügbar ist, aber auch in Form von Filmen, Musik oder Computerspielen, sowie eine Bibliothek der Dinge, in der man sich spielerische Hilfsmittel zur weiteren Vermittlung des geschriebenen Wortes ausleihen kann.
Unter anderem bewunderten wir mit Frau Nedvědová die moderne Selbstbedienungswand für die Rückgabe von Leihgaben, die jetzt in Pirna im Foyer steht.
Im festlichen gotischen Saal im Erdgeschoss stellten wir bei Kaffee und traditioneller sächsischer Eierschecke das Konzept und die Aktivitäten beider Bibliotheken im Bereich der Bildungskurse und Kulturveranstaltungen vor und diskutierten die Möglichkeiten einer künftigen Zusammenarbeit. Es stellte sich heraus, dass die beiden Bibliotheken in ihren jeweiligen Gemeinden leicht unterschiedliche Funktionen haben. Die Bibliothek in Pirna ist in erster Linie eine klassische Bibliothek, während die Bibliothek in Děčín, auch durch ihre Geschichte der Zusammenlegung mit dem Kulturzentrum, eine reine Kultur- und Gemeindezentrumsfunktion hat., Wir fanden aber ein gemeinsames Thema, mit dem wir beginnen konnten, nämlich eine literarische Lesung des Schriftstellers Mark Toman und seines Comic-Buches „Vertriebene Kinder“, das sowohl für Schulkinder als auch für ältere Kinder und Erwachsene geeignet ist. Zufälligerweise wird das Thema der Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg auch in der Ausstellung behandelt, die derzeit im Stadtmuseum Pirna vorbereitet wird, das direkt neben der Bibliothek liegt. Wenn alles gut geht, werden also dank der Zusammenarbeit der beiden Bibliotheken und des Museums die jetzige Bevölkerung und die Besucher von Pirna die Lebensgeschichten der vertriebenen Deutschen gleich aus mehreren Perspektiven erleben können, nicht nur aus der Kinderperspektive, auch wenn diese für viele neu sein dürfte.
Noch vor der eigentlichen deutsch-tschechischen Lesung, die im Mai dieses Jahres für einen Tag in Děčín und am Folgetag in Pirna stattfinden soll, was ein sinnvoller Schritt ist, um ein interessantes Programm auf beiden Seiten der Grenze zu teilen, ist nun der nächste Schritt der Gegenbesuch von Frau Marzahn und ihren Kollegen in Děčín.
Und in derselben Woche, in der ich in die Tätigkeit der Bibliotheken an der Elbe eingedrungen bin, fand ich mich nur wenige Tage später frühmorgens im nebligen Varnsdorf im Schluckenauer Vorland im Gebäude der ehemaligen Textilschule von 1882 wieder, die heute ebenfalls die Bibliothek, aber auch das Haus der Kinder und Jugendlichen beherbergt. Und dort versammelten sich schon um 8 Uhr morgens junge Schachspieler und ihre Eltern oder Großeltern in Autos mit deutschen Kennzeichen.
Zusammen mit dem TJ Slovan Varnsdorf luden wir unsere Kollegen vom SC 1994 Oberland e. V. aus Leutersdorf zu ihrem halbjährlichen Turnier ein und wir waren angenehm überrascht, dass die deutsche Gruppe recht groß war, obwohl gerade in Sachsen gar keine Ferien waren. Aber den deutschen Kindern hat das Turnier wohl umso mehr Spaß gemacht und sie belegten auch die ersten Plätze in der Kategorie der jüngeren Schüler.
Der Vorteil des Schachspiels ist, dass sich die Spieler immer ohne Worte verständigen und die Regeln international sind, so dass ein Tscheche und ein Deutscher, auch wenn sie sich direkt gegenüber sitzen, nicht in einer Fremdsprache kommunizieren müssen. Gleichzeitig gab es aber auch einen kleinen Sprachaustausch, vor allem, wenn die Schiedsrichter in strittigen Momenten hinzugezogen wurden oder in den Pausen zwischen den Runden, in denen sie einen Imbiss zu sich nahmen, gemeinsam übten und andere Gelegenheiten zum gemeinsamen Spiel planten. Der Trainer der Varnsdorfer Schachspieler, Herr Václav Halba, ist sehr aktiv und lebt für das Schachspiel und die Weitergabe seiner Fähigkeiten an die Jugend.
Und es scheint, dass er in Frank-Peter Rößler endlich einen Partner gefunden hat, mit dem er regelmäßig gemeinsame Turniere und Trainingslager organisieren kann. Varnsdorf verfügt über geeignete Räumlichkeiten sowie die Unterstützung des örtlichen Vereins, und Leutersdorf ist offen für weitere Kooperationen und organisiert auch Veranstaltungen wie die Schachwoche Mitte Februar, zu der die tschechischen Kollegen gleich eingeladen wurden. Abgesehen vom Schachspiel ist das offensichtliche Bindeglied jedoch der gemeinsame Sinn für Humor, selbst bei Missverständnissen, die bei der Kommunikation in einfachem Deutsch und Russisch leicht passieren können…
Ob Schachmatt, Patt oder Unentschieden, vor allem ist es eine ermutigende Lektüre für weitere Versuche der grenzüberschreitenden Vernetzung innerhalb des Programms „Ein Jahr an der Grenze“!
Was passiert in diesem Jahr an der deutsch-tschechischen Grenze im Gebiet von Liberec (Reichenberg) und Horní Lužice (Oberlausitz), Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe) und dem Elbtal? Es ist eine ganze Menge los! Hier ein ganz kurzer Überblick…
Derzeit bin ich noch voller Eindrücke aus Zittau, wo sich die Leiter und Besucher*innen des Jugendcafés Café X des Deutschen Kinderschutzbundes und die Leiter und Klient*innen der niederschwelligen Einrichtung Wafle der Organisation Rodina v centru aus Nový Bor (Haida) zum ersten Mal trafen. Es war ein sehr freundliches Treffen mit einem gemeinsamen Tischfußball- und Tischtennisspiel, das ohne größere Hindernisse bei der Kommunikation und beim Austausch verlief. Das einzige Hindernis tauchte unerwartet kurz vor dem Treffen auf. Es lag in der leider noch ungewissen Existenz des Cafés für das nächste Jahr, eine völlig neue, unangenehme, wenn auch noch nicht hundertprozentig bestätigte Nachricht, die keine der Gruppen vor dem Treffenstermin kannte. Das Treffen fand dennoch in einer erwartungsvollen Atmosphäre statt und wir werden die begonnene Partnerschaft auf jeden Fall weiter ausbauen, sei es mit dem Jugendcafé X oder dem Offenen Treff, einem Raum für jüngere Jugendliche und Kinder in derselben Einrichtung. So oder so, ich drücke dem Café X beide Daumen!
Es folgte eine abenteuerliche und unerwartet anstrengende Reise durch die eiskalte Nacht von Zittau über Dresden nach Chemnitz und die Teilnahme am dortigen Deutsch-Tschechischen Regionalforum. Was ich daraus mitgenommen habe, ist u.a. die Bestätigung meiner Meinung, dass jede Grenzgemeinde und jede größere Institution einen ständigen Koordinator*in für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit braucht, der sich langfristig für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit einsetzt, damit gemeinsame Partnerschaften und Projekte nachhaltig sind. Es wurde auch vorgeschlagen, dass dies eine in der Gesetzgebung verankerte Verpflichtung für die Grenzgemeinden sein sollte, zumindest für einen vorübergehenden Zeitraum…
Am nächsten Tag in Chemnitz nutzte ich die Gelegenheit, mit der Plattform Kreativni.uk von Ústí nad Labem die zukünftige Kulturhauptstadt Europas zu besichtigen. Ich dachte an den Slogan „Chemnitz ist weder braun noch grau“, hinter dem sich die gleichnamige Initiative aktiver Bürger*innen verbirgt und die darauf hinweist, dass Chemnitz weder eine Stadt der (Neo)Nazis* oder Nationalist*innen ist, die durch die Farbe Braun symbolisiert werden, noch eine uninteressante graue postsozialistische Stadt mit rückläufiger Industrie. Und ich frage mich, ob so etwas auch Ústí nad Labem anstoßen könnte und ob Ústí in naher Zukunft Kulturhauptstadt Europas werden könnte? Bis jetzt scheint es wie ein Witz, aber paradoxerweise würde es Sinn machen.
Und dann ist da noch der wichtige erneute Besuch in Liberec, wo ich festgestellt habe, dass der Verein Tulipán, der sich auf die Hilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen konzentriert, mit einem sehr durchdachten und sinnvollen Konzept arbeitet. Seine Mitarbeiter*innen sind bestens vorbereitet und freuen sich auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Jetzt müssen sie nur noch eine Partnerorganisation auf deutscher Seite finden, was bisher in diesem Bereich aufgrund der Arbeitsbelastung der potenziellen Partner ein Problem war. Aber während der Destigmatisierungswoche mit dem Verein Tulipán hatte ich die Ehre, dabei zu helfen, den Weltrekord im massenhaften Zerplatzen von Plastikblasen zu brechen. Diese Blasen sind ein Symbol für die zerbrechliche menschliche Seele und werden ansonsten werden für die Verpackung von Produkten aus geschützten Werkstätten verwendet. Dieser symbolische Akt der Verbindung stimmte mich optimistisch…
Noch am gleichen Abend fand ich mich in einem Paralleluniversum in Liberec wieder, bei einem Weihnachts-Networking bei Lipo.ink, einem Liberecer Inkubator für vielversprechende Start-ups, wo das bereits 10. Treffen vom Verein „Frauen aus dem Norden“ organisiert wurde, der sich auf die Schaffung eines sicheren Raums für unternehmerisch aktive Frauen aus Nordböhmen, ihre Ausbildung und Emanzipation konzentriert. Den Frauen aus dem Norden wird nachgesagt, dass sie rauer, sportlicher und weniger gesellig sind als anderswo, aber der Verein konnte dieses Stereotyp erfolgreich überwinden und hat im vergangenen Jahr auch eine Zusammenarbeit mit der deutschen Initiative „Löbaulebt“ begonnen, die er gerne fortsetzen möchte. Alle bisherigen Teilnehmerinnen würden sich über gleichgesinnte Frauen aus Sachsen bei zukünftigen Treffen freuen.
Anfang November war für mich als Koordinatorin der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein Durchbruch in Sachen Vertrauen und Motivation, in dem ich an mehreren Veranstaltungen im Rahmen der Tage der tschechischen und deutschen Kultur teilnahm. Ein an sich etabliertes, für mich aber neu entdecktes Festival hat in diesem Jahr durch die Mithilfe der Stadthalle Hraničář in Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe) bei der Organisation auf tschechischer Seite und der Ausweitung des Programms auf kleinere Städte (außerhalb Dresdens tut sich immer mehr) einen neuen Atem bekommen zu haben. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, mehr Veranstaltungen abseits des Mainstreams zu besuchen, die sich auf communities und Begegnungen konzentrieren. Und obwohl ich anfangs Zweifel hatte, ob ich bei diesen Veranstaltungen nur Akteure treffen würde, die bereits über die Grenze hinweg miteinander verbunden sind, stellte ich fest, dass das Spektrum der „Dienstleistungen“, die wir im Rahmen des Jahres an der Grenze anbieten, nämlich die Kontaktaufnahme mit aktiven Bürgern und Vereinen im Grenzgebiet, die Vermittlung von Kontakten zu gleichgesinnten Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen sowie die Zusammenführung von Personen, die an einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit oder Partnerschaft interessiert sind, hier großen Anklang fand.
So ging ich eines Tages zur Deutschkonversation in den „Deutschklub mit Überraschung!“ in Litoměřice (Leitmeritz), wo nun schon im 7. Jahr das Motto gilt: „Da wir in Leitmeritz sind, sprechen wir natürlich Deutsch – und zwar so, wie es jeder vermag“ und um bei dieser Gelegenheit gemeinsam Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln. Leider war ich auf diesen Umstand nicht ganz vorbereitet und die Leiterin des Clubs, Hana Pavlištová, hätte mich fast nicht reingelassen. Aber zum Glück sah ich ein bekanntes Gesicht – die Mitorganisatorin des Abends und hartnäckige Organisatorin der Alternativkultur in Litoměřice Renata Vášová –sie sorgte nicht nur dafür, dass ich eingelassen wurde, sondern stellte mich auch gleich ihrer Kollegin Hanka Galiová vor. Hanka Galiová hat die Leitung ihres gemeinnützigen Vereins Kinoklub Ostrov übernommen, der nicht nur das Sommerkino von Litoměřice und den Filmclub betreibt, sondern auch jedes Jahr Ende August das renommierte Filmfestival organisiert. Und Hanka und ich begannen sofort, Pläne für grenzüberschreitende Aktivitäten zu schmieden, und zu uns gesellte sich eine sehr wichtige Person, sozusagen eine Kultfigur, nämlich Lenka Holíková vom Kulturzentrum Řehlovice. Ich traf beide im November bei einer Besichtigung des Sommerkinos auf der hiesigen Střelecký-Insel und der Gotischen Zwillingsgalerie im ältesten Haus in Litoměřice wieder. Es war sofort klar, dass die „Club“-Szene dort den deutschen Partnern, die ihnen zweifelsohne am Herzen liegen, viel zu bieten hat und dass das Networking Spaß machen würde.
Eine ähnliche Veranstaltung wie der Deutschklub, bei der die erwähnte „Überraschung“ eine großartige Verkostung sächsischer Weine aus den Weinbergen der Elbe-Region war (unter der hervorragenden fachlichen Anleitung der „Weinkönigin“, Frau Juliana Kremtz), stellte die deutsch-tschechische DŽEM-Session in Pirna dar. Es ist ein bereits traditioneller Wettbewerb um die beste Marmelade, Konfitüre oder das beste Fruchtpüree im Rhythmus des Jazz, der diesmal von einer Band aus Děčín (Tetschen) dageboten wurde. Abgesehen davon, dass ich wieder überrascht war, wie viele Leute sich mit ihren Kostproben an dem Wettbewerb beteiligten, war ich schon besser vorbereitet als beim letzten Mal. Ich hatte auch genügend Bargeld dabei, um auch eine der besten Marmeladen, natürlich Birne, zu versteigern, denn darin sind sie die Besten in Pirna und konnte damit einen Beitrag zur Initiative Pirna 800 leisten.
Die Initiative hat die Veranstaltung mitorganisiert und sich zum Ziel gesetzt, bis zur 800-Jahr-Feier der Stadt Pirna (wahrscheinlich bis 2033) 800 neue Bäume zu pflanzen. Abgesehen davon, dass ich mich über diese Initiative und die Möglichkeit, einen Beitrag dazu zu leisten, sehr gefreut habe, hat mich auch die Tatsache amüsiert, dass die Stadt Pirna eine Birne oder einen Birnbaum in ihrem Wappen führt, was sicher irgendwie mit der phonetischen Ähnlichkeit der beiden Wörter Pirna – Birne zusammenhängt. Aber ich musste wirklich lachen, als Helge Goldhahn, der Vater der Initiative Pirna 800, mir auf Tschechisch erzählte, dass er einen Teil seines Lebens in Brünn gelebt habe und man ihn nie richtig verstand, wenn er zu erklären versuchte, dass er nicht „aus Brünn“, sondern „aus Pirna“ sei… Und ich weiß jetzt nicht genau, wie das zusammenhängt, aber ich musste an Karel Gott und seinen gleichnamigen Schlager denken, als ich mich dem Restaurant Babička in Pirna näherte –seine Lieder und das gemeinsame deutsch-tschechische Musizieren standen tatsächlich an diesem Abend auf dem Programm. Natürlich werden bei der allgemeinen Heiterkeit auch Kontakte geknüpft, und wir konnten mit der Bildungsleiterin der Stadtbibliothek Děčín, Frau Mirka Nedvědová, die auch die diesjährige DŽEM-Sitzung mitorganisiert hat, ernsthafte Pläne entwickeln, wie wir beim Organisieren der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei deutsch-tschechischen Literaturabenden, Kunstworkshops und Ausstellungen, beim deutsch-tschechischem Theater, Vorträgen über die deutsche Geschichte der nordböhmischen Region, Erfahrungsaustauschen über die Nutzung ehemaliger Industriegebäude und das Funktionieren von Bürgerinitiativen usw. mithelfen könnten. Bibliotheken sind neue Kultur- und Gemeinschaftszentren, und es wäre schade, wenn ihr gegenwärtiger Aufschwung keine Unterstützung finden würde. Es ist zu hoffen, dass zumindest einige der Pläne bis zum Ende des aktuellen Jahrgangs von Ein Jahr an der Grenze verwirklicht werden können.
Der bestirnte Himmel über mir und die grenzenlose Freundschaft in mir. frei nach Immanuel Kant
In den letzten zwei Jahren haben wir hier in der sächsisch-böhmischen Grenzregion eine getrennte Nachbarschaft erlebt, aber wir haben uns nicht mit den wie ein dunkler Schatten wieder erschienenen Grenzen abgefunden. In all dieser Zeit hat uns der Anblick des Sternenhimmels, der keine Grenzen kennt und der auf der Erde scheinbar getrennte Welten vereint, Hoffnung und Kraft gegeben. Wenn wir vielleicht doch das berechtigte Gefühl hatten, dass wir in den böhmisch-sächsischen Nachbarschaftsbeziehungen einen Schritt zurückgehen mussten, dann lasst es uns als Herausforderung nehmen, jetzt mindestens zwei Schritte vorwärts zu gehen. Versuchen wir, die begrenzte grenzüberschreitende Nachbarschaft, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, in die grenzenlose Freundschaft der Zukunft zu überführen. Und wo soll man anfangen? Nun, hier, an einem Ort an der – vielleicht bald wieder kaum scheinbaren – Grenze, in einer Region mit dem Arbeitstitel LAUBA!
Woher kommt LAUBA? Es handelt sich um ein grenzüberschreitendes Gebiet am linken Elbufer, das grob durch den Oberlauf des Flusses GottLEUBA auf sächsischer Seite und des EuLAUBAchs (auf Tschechisch Jílovský potok), auf böhmischer Seite begrenzt wird. Was bedeuten die tschechischen Worte (und gleichzeitig auch Germanismen) LOUBÍ oder podLOUBÍ auf Deutsch? Ungefähr so viel wie die deutsche LAUBE und der LAUBEngang, und damit sind wir wieder beim SternenLAUBE, die uns, genauso wie die LAUBE oder der LAUBEngang, imaginär verbindet und uns auch stärkt und vor den Tücken der Zeit schützt. Nur eine starke und widerstandsfähige Freundschaft hier in unserer kleinen LAUBA ist der Weg in die Zukunft eines großen und demokratischen Europas.
VZHŮRU KE HVĚZDÁM / HOCH ZU DEN STERNEN ist der Titel der Fotoausstellung von Stephan Messner, die die Idee widerspiegelt, den Sternenhimmel mit ausgewählten geistlichen Orten auf beiden Seiten der Grenze zu verbinden. Die Idee der Ausstellung, verkörpert durch die Serie von zwanzig Fotografien, ist zwar bereits längst vor dem Start des Programms Ein Jahr an der Grenze geboren worden, aber dieser (sprach)spielerische Text über die „eine“ Landschaft ohne trennende Grenze ist schon als eine Art Reflexion unserer intensiven Debatten über den Sinn und das Ziel des Programms zu verstehen. ES LEBE LAUBA!
Vernissage: Botschen-Kapell in Libouchec/Königswald, 10. 6. 2022, 18:00 Uhr
Ich lade zu Gesprächen über die vereinten und „entgrenzten“ Regionen entweder direkt während der Ausstellung oder jedes andere Mal herzlichst ein!