BLOG Nr. 15

Ende Januar und Anfang Februar ist es mir gelungen, ganz unterschiedliche Akteure der regionalen Kultur miteinander in der Grenzregion zu vernetzen. Ich kann mich wirklich nicht darüber beklagen, dass mein Leben während des Programms „Ein Jahr an der Grenze“ nicht abwechslungsreich war und dass ich nicht ständig neue Dinge gelernt habe – zum Beispiel, wie man Schachregeln richtig interpretiert oder wie man eine Schachpartie idealerweise eröffnet. Aber dazu gleich mehr…

Ich freue mich sehr, dass wir zusammen mit der Leiterin der Bildungsabteilung der Stadtbibliothek in Děčín, Frau Miroslava Nedvědová, in die Stadtbibliothek im benachbarten Pirna eingeladen wurden. Die beiden Städte verbindet nicht nur die immer größer werdende Elbe im Norden, sondern auch aktive Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die sich für einen deutsch-tschechischen Austausch stark machen. Frau Viola Marzahn empfing uns zusammen mit ihrem Vorgesetzten, Herrn Schreiber, dem Leiter der Kultur und Tourismus GmbH, zu dem die Stadtbibliothek gehört. Wir wurden durch das sehr kunstvoll restaurierte historische Haus geführt, in dem die Bibliothek untergebracht ist, und zwar buchstäblich vom Keller, in dem angeblich manchmal das Leben im Mittelalter nachgespielt wird, bis zum Dachgeschoss, wo sich die Kinderabteilung für die jüngsten Leser befindet. Neben den Büchern bietet der gemütliche Raum auch alle anderen Medien, in denen Literatur heute verfügbar ist, aber auch in Form von Filmen, Musik oder Computerspielen, sowie eine Bibliothek der Dinge, in der man sich spielerische Hilfsmittel zur weiteren Vermittlung des geschriebenen Wortes ausleihen kann.

Unter anderem bewunderten wir mit Frau Nedvědová die moderne Selbstbedienungswand für die Rückgabe von Leihgaben, die jetzt in Pirna im Foyer steht.

Im festlichen gotischen Saal im Erdgeschoss stellten wir bei Kaffee und traditioneller sächsischer Eierschecke das Konzept und die Aktivitäten beider Bibliotheken im Bereich der Bildungskurse und Kulturveranstaltungen vor und diskutierten die Möglichkeiten einer künftigen Zusammenarbeit. Es stellte sich heraus, dass die beiden Bibliotheken in ihren jeweiligen Gemeinden leicht unterschiedliche Funktionen haben. Die Bibliothek in Pirna ist in erster Linie eine klassische Bibliothek, während die Bibliothek in Děčín, auch durch ihre Geschichte der Zusammenlegung mit dem Kulturzentrum, eine reine Kultur- und Gemeindezentrumsfunktion hat., Wir fanden aber ein gemeinsames Thema, mit dem wir beginnen konnten, nämlich eine literarische Lesung des Schriftstellers Mark Toman und seines Comic-Buches „Vertriebene Kinder“, das sowohl für Schulkinder als auch für ältere Kinder und Erwachsene geeignet ist. Zufälligerweise wird das Thema der Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg auch in der Ausstellung behandelt, die derzeit im Stadtmuseum Pirna vorbereitet wird, das direkt neben der Bibliothek liegt. Wenn alles gut geht, werden also dank der Zusammenarbeit der beiden Bibliotheken und des Museums die jetzige Bevölkerung und die Besucher von Pirna die Lebensgeschichten der vertriebenen Deutschen gleich aus mehreren Perspektiven erleben können, nicht nur aus der Kinderperspektive, auch wenn diese für viele neu sein dürfte.

Noch vor der eigentlichen deutsch-tschechischen Lesung, die im Mai dieses Jahres für einen Tag in Děčín und am Folgetag in Pirna stattfinden soll, was ein sinnvoller Schritt ist, um ein interessantes Programm auf beiden Seiten der Grenze zu teilen, ist nun der nächste Schritt der Gegenbesuch von Frau Marzahn und ihren Kollegen in Děčín.

Und in derselben Woche, in der ich in die Tätigkeit der Bibliotheken an der Elbe eingedrungen bin, fand ich mich nur wenige Tage später frühmorgens im nebligen Varnsdorf im Schluckenauer Vorland im Gebäude der ehemaligen Textilschule von 1882 wieder, die heute ebenfalls die Bibliothek, aber auch das Haus der Kinder und Jugendlichen beherbergt. Und dort versammelten sich schon um 8 Uhr morgens junge Schachspieler und ihre Eltern oder Großeltern in Autos mit deutschen Kennzeichen.

Zusammen mit dem TJ Slovan Varnsdorf luden wir unsere Kollegen vom SC 1994 Oberland e. V. aus Leutersdorf zu ihrem halbjährlichen Turnier ein und wir waren angenehm überrascht, dass die deutsche Gruppe recht groß war, obwohl gerade in Sachsen gar keine Ferien waren. Aber den deutschen Kindern hat das Turnier wohl umso mehr Spaß gemacht und sie belegten auch die ersten Plätze in der Kategorie der jüngeren Schüler.

Der Vorteil des Schachspiels ist, dass sich die Spieler immer ohne Worte verständigen und die Regeln international sind, so dass ein Tscheche und ein Deutscher, auch wenn sie sich direkt gegenüber sitzen, nicht in einer Fremdsprache kommunizieren müssen. Gleichzeitig gab es aber auch einen kleinen Sprachaustausch, vor allem, wenn die Schiedsrichter in strittigen Momenten hinzugezogen wurden oder in den Pausen zwischen den Runden, in denen sie einen Imbiss zu sich nahmen, gemeinsam übten und andere Gelegenheiten zum gemeinsamen Spiel planten. Der Trainer der Varnsdorfer Schachspieler, Herr Václav Halba, ist sehr aktiv und lebt für das Schachspiel und die Weitergabe seiner Fähigkeiten an die Jugend.

Und es scheint, dass er in Frank-Peter Rößler endlich einen Partner gefunden hat, mit dem er regelmäßig gemeinsame Turniere und Trainingslager organisieren kann. Varnsdorf verfügt über geeignete Räumlichkeiten sowie die Unterstützung des örtlichen Vereins, und Leutersdorf ist offen für weitere Kooperationen und organisiert auch Veranstaltungen wie die Schachwoche Mitte Februar, zu der die tschechischen Kollegen gleich eingeladen wurden. Abgesehen vom Schachspiel ist das offensichtliche Bindeglied jedoch der gemeinsame Sinn für Humor, selbst bei Missverständnissen, die bei der Kommunikation in einfachem Deutsch und Russisch leicht passieren können…

Ob Schachmatt, Patt oder Unentschieden, vor allem ist es eine ermutigende Lektüre für weitere Versuche der grenzüberschreitenden Vernetzung innerhalb des Programms „Ein Jahr an der Grenze“!

VERONIKA KYRIANOVÁ