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Während der Zug durch das Elbtal rollt, habe ich Zeit, über die letzten drei Monate nachzudenken. Ich bin auf dem Weg nach Dresden, treffe mich dort mit einem Freund. Die Strecke von Litoměřice durch das Elbtal ist mir mittlerweile sehr vertraut, doch jede Fahrt bietet neue Perspektiven und Gedankenanstöße. Seit ich im Programm „Ein Jahr an der Grenze“ arbeite, hat sich mein Alltag stark verändert. In gewisser Weise spiegelt diese Reise auch meine Arbeit wider – eine konstante Bewegung, mal schneller, mal langsamer, mal einfach, mal kompliziert, aber immer begleitet von neuen Entdeckungen.

Die ersten Monate waren eine spannende, aber auch intensive Phase des Kennenlernens und Verstehens. Ich habe die Grenzregion, in der ich schon länger arbeite, auf eine völlig neue Weise erlebt. Menschen, die ich schon seit Jahren kenne, sind mir noch einmal auf ganz neue, überraschende Weise begegnet. Gleichzeitig hatte ich die Chance, viele neue Kontakte zu knüpfen und Menschen kennenzulernen, die sehr viel Energie in ihre Projekte und Hobbies stecken.

Aber es wäre eine Lüge zu behaupten, dass alles immer einfach gewesen wäre. Besonders die Ambivalenz der deutsch-tschechischen Beziehungen hat mich oft beschäftigt. Auf der einen Seite gibt es hier viele Menschen, die mit Begeisterung grenzüberschreitende Projekte unterstützen und aktiv an etwas Gemeinsamen arbeiten wollen. Ihre Energie und ihr Enthusiasmus sind ansteckend und geben mir Hoffnung für die kommenden Monate. Doch dann gibt es auch die andere Seite – unbeantwortete Emails, Menschen, die sich nach einem ersten Gespräch nie wieder bei mir melden. Ich merke, dass einige Leute keine Zeit oder Motivation haben, sich auf neue Projekte einzulassen. Manchmal setzen sie ihre Prioritäten anders, und oft habe ich Verständnis dafür. Jeder hat seine eigenen Herausforderungen, seine eigenen Sorgen. Trotzdem lässt mich dieser Gedanke nicht los: Desinteresse ist gefährlich, besonders in Zeiten wie diesen. Rassismus, Hass und Gewalt sind Alltag, auch in sonst freundlichen Gesprächen. In solchen Momenten wird mir klar, wie wichtig es ist, nicht aufzugeben, sondern weiterhin für Verständigung und Offenheit zu arbeiten. Deutsch-tschechische Projekte sind sicherlich nicht die Lösung all dieser Probleme, aber sie sind ein Schritt in die richtige Richtung. Sie helfen uns, unsere Herzen offen zu halten und den Dialog zu fördern, auch wenn es manchmal schwierig ist.

Nele Steiling