Dieser Blogartikel ist einmal ein bisschen anders. Seit einigen Monaten beschäftige ich mich nun mit der Geschichte des Uranbergbaus in böhmisch-sächsischen Grenzgebiet. Alles fing an bei einem Vernetzungstreffen im Oktober, wo ich auch das Projekt Řetizkarna des Vereins Političtí vězni.cz aufmerksam wurde. Vor einige Jahren hatten sie das alte Kettenhaus des Lagers Rovnost (Gleichheit) in Jachýmov gekauft, und wollen dieses nun in ein Bildungs- und Kulturzentrum verwandeln. Ich fuhr also hin, lernte einige involvierte Menschen kennen und begann, mich tiefer in die Geschichte von Jáchymov einzuarbeiten.
Im Erzgebirge treffen zwei sehr unterschiedliche Kapitel des Uranbergbaus aufeinander – fast wie zwei Welten, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegen. In der DDR wurde Uran in einem hochgradig regulierten, technisch ausgereiften Betrieb abgebaut. Hier arbeiteten Bergleute unter staatlich festgelegten, planvollen Bedingungen. Die Wismut entschied sich gegen zwangsverpflichtende Arbeit und lockte Arbeiter stattdessen mit guter Verpflegung und außergewöhnlich hohen Gehältern. Bergarbeiter bei der Wismut waren beinahe sozialistische Helden.
Auf der tschechischen Seite des Erzgebirges sah die Situation ganz anders aus. In der Tschechoslowakei wurde 1945 ein Abkommen mit der Sowjetunion geschlossen, das dieser eine Art Autonomie zusicherte und die Tschechoslowakei lediglich zu einem Rohstofflieferanten machte. Mit mäßigem Erfolg wurde zwar versucht, zivile Arbeiter für die Uranabbau zu finden, doch größte Arbeitergruppe waren für die Vertreibung bestimmte Sudetendeutsche und deutsche Kriegsgefangene aus der Sowjetunion. Tausende Menschen mussten also schon vor dem sozialistischen Putsch 1948 unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten. Auch danach setzte die sozialistische Regierung auf vor allem politische Häftlinge und gründete zwei gänzlich neue Lagertypen. Zum einen waren das die Zwangsarbeitslager (Tábory Nucené Práce – TNP), die es von 1949 bis1951 bei den Uranbergwerken gab. Zum anderen waren das die Besserungs-Arbeitslager (Nápravně Pracovní Tábor – NPT), die zwischen 1949 und 1953 gegründet wurden.[1] In der Region rund um Jáchymov gab es insgesamt elf solcher Zwangsarbeitslager.
Mit Initiativen wie dem Lehrpfad „Die Hölle von Jáchymov“ und dem „Kreuzweg zur Freiheit“ wird seit einigen Jahren versucht, das Leid und die Schicksale der Zwangsarbeiter öffentlich zu machen. Informationstafeln und Gedenkorte laden Besucher ein, sich mit den dunklen Seiten dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Gleichzeitig gehen die meisten dieser Projekte primär auf private Initiativen zurück. Bei einem Treffen versuchten wir einen Weg zu finden, mehr deutschsprachige Gruppen für diese Geschichte zu begeistern und nach Jachymov zu bringen. Die Idee ist sehr simpel und kompliziert zugleich: Die Schicksale einiger deutschsprachiger Zwangsarbeiter aufarbeiten und in deutschsprachige Angebote einbauen. Doch während es auf der tschechischen Seite viele Informationen gibt, und die Organisation Političtí vězni.cz auch mit einigen Überlebenden der Zwangsarbeitslager und/oder „Besserungs-arbeitslager“ zusammenarbeitet, gibt es weiterhin fast keine Informationen über die Identität der Deutschen Kriegsgefangenen und Sudetendeutschen. Wer waren also diese Häftlinge, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Jáchymov Zwangsarbeit leisten mussten? Auf den Spuren dieser Geschichte waren wir Anfang Januar auch in Bad Schlema im Erzbergbaumuseum und hatten ein ausführliches Gespräch mit dem Leiter des Museums.
Ich erfuhr, dass die Wismut Anfang der 50er Jahre einige der deutschen Häftlinge von der tschechischen Seite des Erzgebirges übernahm – als reguläre Angestellte in Wismut-Betrieben. Ich fand ein paar vielversprechende Dokumente in Archiven und Andeutungen in Büchern. Außerdem fand ich Menschen, die Interesse an einer weiteren tiefgreifenden Recherche haben – und mit etwas Glück entsteht aus dieser Suche ein größeres Projekt.
Doch noch einmal zurück zur Řetizkárna: Neben den Recherchen gibt es viele spannende Pläne für die kommenden Monate und Jahre. Ein Filmprojekt ist in Arbeit, eine Kooperation für ein Theaterstück nimmt Form an, und auch mit Studierenden der angewandten Kunst in Schneeberg bahnt sich eine Zusammenarbeit an. Zudem ist eine deutsch-tschechische Bildungsfahrt zur Zwangsarbeit in der Tschechoslowakei geplant. Es bewegt sich also unglaublich viel – und ich freue mich, diesen Weg ein Stück weit mitzugehen.
[1] Frantšek Šedivý, Uran für die Sowjetunion, 2016, S.22