BLOG Nr. 9
Dreiländereck ist ein verlockender Ausdruck. Das klingt nach Zusammenkunft, spannenden Geschichten und Perspektivenvielfalt. Das haben auch die Politiker und Tourismusexperten gemerkt und werben für ihre Regionen: 15 solche Stellen gibt es zwischen den deutschen Bundesländern, weitere natürlich an den Außengrenzen der BRD, so im Westen mit Frankreich und Luxemburg bzw. der Schweiz. Wo sich im Osten die Oberlausitz, Schlesien und Böhmen begegnen, im Rayon meiner Projektkollegin Veronika Kyrianová, trafen immer auch Staaten aufeinander: Einst Sachsen, Preußen und Österreich – heute Deutschland, Polen und Tschechien.
„Meine Region“ Oberfranken, das sächsische Vogtland und der Karlsbader Bezirk ist also kein Dreiländereck im staatlichen Sinne mehr. Seit der Wiedervereinigung 1990 „trennt“ Bayern und Sachsen nur eine Landesgrenze. Bemühungen, auf beiden Seiten dieser Linie, das zu ändern, sind zu vernachlässigen. Böhmen, und damit die Staatsgrenze zu Tschechien, läuft nicht an den beiden Bundesländern entlang. Wie ein Keil schiebt sich das „Ascher Ländchen“ zwischen sie. An seiner Spitze, unweit des Städtchens Hranice/Roßbach treffen sie endlich aufeinander. Eine Landschaft, in der ich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen und doch atmet sie Geschichte.
Dort stehen noch die einstigen Wachtürme wie Fremdkörper auf den satten Wiesen und erinnern daran, dass hier 40 Jahre lang eine doppelte Systemgrenze aufeinandertraf -zwischen den beiden deutschen Staaten aber auch der Bundesrepublik und der sozialistischen Tschechoslowakei. Wenn die Kinder in Gürth bei Bad Elster beim Spielen zu weit in den Wald liefen, gerieten sie auf Staatsgebiet der ČSSR. Nicht lebensgefährlich wie am „Eisernen Vorhang“, aber Ärger gab es doch, wie sich Zeitzeugen erinnern.
Heute sind diese Grenzen nicht mehr zu spüren. Wer aus dem vogtländischen Oberland (dem sogeannten Musikwinkel – dazu in einem späteren Blog mehr) nach Selb will, fährt selbstverständlich durch Asch. Aus der anderen Richtung – zum Konzert oder zur Kur nach Bad Elster ebenso. Zur Arbeit, zur Einkauf, Abendessen mit Knödeln oder auf Wandertour, der Wechsel zwischen den drei „Ländern“ ist hier alltäglich.
Die Zeitgeschichte – Geschichte, die noch qualmt (B. Tuchman) – hat freilich auch hier ihre Spuren hinterlassen. Den einst staatlich getrennten aber spachlich einheitlichen Raum (gemeint ist Deutschland und Tschechien – im Vogtland spricht man kein Sächsisch) trennt heute eine Sprachgrenze. Und das ist gut so! Es ist Anlass zu Neugier und Staunen, etwa wenn bei Bayrisch-Tschechischen Stammtisch in Cheb auf Tschechisch bestellt wird. Wenn alte deutsche Inschriften mit Hilfe deutscher Enthusiasten entziffert werden. Wenn man „aus deutscher Seite“ mit leichtem Akzent aber in beindruckendem Deutsch im Laden bedient wird. Es ist Gelegenheit und Anregung zum Ausstausch und Zusammentreffen. Es ist mein Job dabei zu helfen und die Geschichten zu erzählen. Deshalb: Später mehr!
Steffen Retzlaff